"Frauenquote? Unmöglich!"
Aus der Durchblick-Reihe:
Am 8. März ist Weltfrauentag. Aber nicht nur an diesem Feiertag beschäftigt sich das Referat für Internationale Zusammenarbeit des BSVÖ mit Gender- und Gleichberechtigungsfragen, mit Rechten für Frauen (mit oder ohne Behinderungen) und mit Strategien, um diese Rechte umzusetzen. Mag. Stefanie Steinbauer, Leiterin des Referats berichtet über unmögliche (?) Quoten, über Konferenzen, die Aufmerksamkeit schaffen und erklärt eine Methode zur Problemanalyse...
Den gesamten Artikel finden Sie auch zum Nachhören als Download am Ende des Berichts!
„Frauenquote? Unmöglich!“
Frauen mit Sehbehinderung oder Blindheit fördern? Natürlich. Geschlechtergerechtigkeit nach außen vertreten? Sicher. Dieselbe Gerechtigkeit in der eigenen Organisation verankern? Schon schwieriger.
Ein Projekt des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich versucht, gemeinsam mit schwedischen KollegInnen, die eigene Organisation und den europäischen Dachverband zu verändern. Das stößt auf Widerstand.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern lässt in den meisten Blinden- und Sehbehindertenorganisationen in Europa noch zu wünschen übrig. Eine Umfrage des Projektes GEAR fand heraus, dass die Frauenquote in den Vorständen in nur 9 (von 24 teilnehmenden) Ländern bei 40 % oder darüber liegt. Präsidentinnen gibt es überhaupt nur in 5 Ländern und ein Bewusstsein für die doppelte Diskriminierung, der Frauen mit Sehbehinderung oder Blindheit ausgesetzt sind, fehlt oft gänzlich. Diese europaweit recht ähnliche Situation war der Ausgangspunkt für die erste Konferenz zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in europäischen Blinden- und Sehbehindertenorganisationen, die im Juni dieses Jahres in Malmö, Schweden stattfand.
Europäische Konferenz zu Geschlechtergerechtigkeit
50 Teilnehmende aus 15 Nationen nutzten die drei Konferenztage, um die vielfältigen Themengebiete rund um die Diskriminierung von Frauen und Mädchen mit Sehbeeinträchtigung zu diskutieren und um positive Beispiele aus dem europäischen Raum zu teilen. So wurde dem Thema Gewalt eine eigene Session gewidmet und eine norwegische Studie belegte für den Bereich Sehbehinderung, was für Behinderungen allgemein schon bekannt ist: nämlich dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen stärker von sexueller Gewalt betroffen sind, als jene ohne. Maßnahmen zur Gewaltprävention in der Norwegischen Organisation, wie etwa die Einsetzung einer Ombudsfrau, und die Auswirkungen der #metoo Debatte wurden ebenfalls vorgestellt. Das Zusammenspiel von Geschlechtergerechtigkeit und Behindertenrechten wurde am Beispiel der UN-Behindertenrechtskonvention und der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen deutlich. Um Frauen in den nationalen Organisationen gezielt zu fördern, wurden auch erste Schritte für Empowerment Kurse erarbeitet. In Österreich sind alle interessierten Frauen mit Sehbehinderung oder Blindheit dazu eingeladen, sich im Referat für Internationale Zusammenarbeit zu melden. Wir planen dann gemeinsam, welche Schwerpunkte für eine gezielte Förderung sinnvoll sind und beginnen Anfang 2020 mit der ersten Kursreihe.
Frauenquote stößt auf Widerstand
Auf europäischer Ebene waren sich die Konferenzteilnehmenden, darunter immerhin auch 3 männliche Delegierte, einig, dass die Europäische Blindenunion generell mehr Maßnahmen setzen und mehr Ressourcen aufwenden sollte, um ihre weiblichen Mitglieder und Funktionärinnen zu fördern. Dass es dafür aber konkrete Regelungen braucht und sich auch an den internen Strukturen, etwa im Vorstand, etwas ändern muss, war allerdings gleich weniger klar. Und so sprachen sich die drei männlichen Delegierten – nach 3 Tagen Geschlechterkonferenz, wohlgemerkt – als einzige gegen die Forderung einer Quotenregelung für den Vorstand der Europäischen Blindenunion aus. Geradezu unmöglich wäre diese. Es gäbe schlicht zu wenig qualifizierte Frauen. Obwohl uns durchaus bewusst ist, dass eine Quote eventuell nicht sofort und nicht vollständig zu erfüllen wäre, wir dem Thema aber dadurch Gehör verschaffen und die Generalversammlung möglicherweise sensibilisieren würden, um in der nächsten Periode einen Schwerpunkt setzen zu können, blieben die Delegierten bei ihrer Ablehnung.
Resolution auf EBU-Generalversammlung im Herbst
Behindertenrechte sind Menschenrechte. Frauenrechte sind Menschenrechte. Gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu fordern und diese Gleichberechtigung in der eigenen Organisation nicht zu leben, ist ein Widerspruch, den man sich als zivilgesellschaftliche Organisation nicht erlauben sollte. Weshalb wir bei der heurigen Generalversammlung der EBU eine Resolution einreichen, die Geschlechtergerechtigkeit in ihrer inhaltlichen Arbeit, bei der Ressourcenverteilung und auch auf Vorstandsebene – durch eine Frauenquote – fordert. Gegenstimmen sind durchaus einkalkuliert. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion.
„Frauen mit Behinderungen – Müssen wir wirklich darüber reden?“
Das war der Titel der heurigen Konferenz des Österreichischen Behindertenrats die am 12. und 13. September 2019 in Wien stattgefunden hat. Dass die Antwort auf die Frage ein klares "Ja!" ist, liegt auf der Hand. Denn noch immer sind Frauen mit Behinderungen von (Mehrfach-) Diskriminierung, fehlender Selbstbestimmung, Armutsgefährdung und nicht zuletzt physischer, psychischer und sexueller Gewalt betroffen. Die Konferenz hat das Ziel, das Thema Frauen mit Behinderungen als wichtigen Aspekt der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen zu positionieren.
Politische Prominenz für mehr Empowerment
Zu ihrem Auftakt fanden neben Brigitte Zarfl (BM für Arbeit-, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), Ines Stilling (BM für Frauen, Familie und Jugend), Korinna Schumann (ÖGB-Vizepräsidentin), "First Lady" Doris Schmidauer auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein starke Worte. Dass das im Artikel 6, Absatz 2 der UN-Behindertenrechtskonvention festgehaltene "empowerment" von Frauen mit Behinderungen keine Worthülse bleiben darf und auf allen Ebenen zum Einsatz kommen muss, halten auch Dr.in Gabriele Sprengseis (Geschäftsführerin Österreichischer Behindertenrat) und Mag.a Heidemarie Egger (Kommunikation Österreichischer Behindertenrat) als Vertreterinnen des Kompetenzteams Frauen mit Behinderungen und treibender Kraft hinter der Ausrichtung der Konferenz deutlich fest.
Konferenzbeiträge des BSV
An beiden Konferenztagen waren die Inhalte breit gestreut. Arbeits- und genderpolitische Themen waren ebenso Teil der Diskussionen wie Identitätskonstitution, Sichtbarkeit, Chancengleichheit und Gewalterfahrungen.
Am ersten Konferenztag betreute Mag.a Ulrike Glösmann (berufliche Assistenz NÖ des Blinden- und Sehbehindertenverbandes WNB) einen Thementisch zu Arbeit und ökonomischer Selbstbestimmung. Am zweiten Konferenztag hielt Mag.a Stefanie Steinbauer (Leiterin Referat für internationale Zusammenarbeit des BSVÖ) eine Session zu Strategien für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Organisationen ab. Einen Auszug aus ihrem Vortrag finden Sie im Folgenden.
Wie kann Geschlechtergerechtigkeit in Organisationen umgesetzt werden?
Die Geschlechtergerechtigkeit lässt nicht nur in den heimischen sondern auch in den europäischen Blinden- und Sehbehindertenorganisationen zu wünschen übrig, mit Frauenquoten von meist weit unter 40 Prozent – ein krasser Widerspruch zur weiblichen Mitgliederbasis, die meist über 50 Prozent ausmacht (siehe dazu auch den Artikel „Frauenquote? Unmöglich!“ in dieser Ausgabe). Wenn sich nun das Gefühl aufdrängt, dass auch in der eigenen Organisation, am Arbeitsplatz oder in einer Fachgruppe ein Ungleichgewicht herrscht, ist sich frau vielleicht nicht sofort sicher ob es eben nur so ein Gefühl ist oder ob es sich hier um strukturelle Ungleichheiten handelt. Bevor frau also die Anwältin gleich zur nächsten Gleichstellungsbeauftragten schickt, lohnt es sich, die Ausgangslange systematisch zu analysieren, um eine Grundlage für weitere Schritte (die eher aus konkreten Vorschlägen an und offene Diskussionen mit der höheren Ebene bestehen sollten, als aus Frontalangriffen) zu schaffen.
Die 4R-Methode
Eine nach wie vor sehr beliebte, weil einfache, Analyseform ist die 4R-Methode. Sie stammt aus Schweden und stellt, zusammengefasst, folgende Frage: „Wer bekommt was, warum oder warum nicht?“
Das erste R steht dabei für Repräsentation, also der Frage, wie viele Frauen in einer Abteilung, einer Organisation, etc. tätig sind, wie viele davon in einer Leitungsposition sind, wie viele Frauen Teil von formellen oder informellen Netzwerken sind und so weiter. Danach werden die Ressourcen untersucht, also Arbeitszeiten, Überstunden, Entlohnung aber auch die Frage, wer für welche Projekte wie viele Mittel aus dem Budget erhält. Das dritte R steht für die Rahmenbedingungen. Dazu zählen jene Normen und Werte, die die Organisation/das Unternehmen im Leitbild verankert hat und nach denen gehandelt wird, aber auch Tätigkeiten, die nebenbei passieren, etwa das Vorbereiten von Kaffee und Kuchen vor einer Besprechung. Zuletzt muss noch die rechtliche Grundlage analysiert werden. Da es in Österreich ein Gleichbehandlungsgesetz sowie das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt, ist die rechtliche Basis zumindest klar. Rechte meinen hier aber auch informelle Rechte, also welche Mitarbeiter dürfen sich was erlauben und welche Mitarbeiterinnen vielleicht nicht? Eine derartige Analyse hat den Vorteil, dass man dadurch konkrete Daten und Beispiele gesammelt hat, die für eine sachliche Argumentation zentral sind.
Gute Beispiele für erste Schritte
Niederschwellige Maßnahmen und erste Schritte, die auch ohne große institutionelle Veränderungen umgesetzt werden können, sind ein Anfang für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Organisationen. Die folgenden Beispiele stammen aus europäischen Blinden- und Sehbehindertenverbänden und sollen als Anregung dienen.
Allgemeine Redezeitbeschränkung
Um zu verhindern, dass Männer Sitzungen dominieren, kann eine allgemeine Redezeitbeschränkung pro Wortmeldung eingeführt werden. Zusätzlich dazu kann in kleineren Runden reihum um Wortmeldungen gebeten werden, um auch zurückhaltende Personen einzubeziehen.
Kinderbetreuung
Kinder mit zu Sitzungen bringen ist möglich, es wird eine Person für die Betreuung abgestellt.
Vorbereitende Treffen
Vor größeren Sitzungen wie Generalversammlungen werden weibliche Delegierte zu vorbereitenden Treffen am Veranstaltungsort geladen, um sich mit dem Raum, der Technik und den Inhalten vertraut zu machen und so die Partizipation zu erleichtern. Dabei können Frauen auch gezielt angesprochen werden um für freie Stellen zu kandidieren.
Männer einbeziehen
Männliche Führungspersonen gezielt zu ihren Strategien für mehr Geschlechtergerechtigkeit befragen und sie als Unterstützer gewinnen. Geschlechtergerechtigkeit ist KEIN reines Frauenthema!
Ombudsstellen
Einrichtung einer Ombudsstelle, die bei Gewalt sowie bei verbalen Belästigungen oder Ungleichbehandlungen tätig wird
Projektarbeit
Öffentliche Stellen legen Wert auf Geschlechtergerechtigkeit bei der Vergabe von Fördermitteln. Projekte mit diesem Schwerpunkt werden häufig leichter gefördert und können auch für die Arbeit innerhalb der Organisation genutzt werden.
Kontakt
Mag. Stefanie Steinbauer
Email: international@blindenverband.at
„Haus des Sehens“
Hietzinger Kai 85/DG
1130 Wien
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