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BSVÖ Fokus: Sinn-Voll. Geruchssinn und Sehbehinderung.

  • Sinnvoll © BSVÖ

Ein besonderer Duft. Gerüche prägen uns mehr, als wir denken. Sie steuern unser Unterbewusstsein, verankern Erinnerungen und schaffen Raumklima. Für blinde und sehbehinderte Menschen ist es aber besonders wichtig, den richtigen Riecher zu haben. Warum das so ist, lesen Sie hier!

 

Super-Riecher?

Schon im ersten Teil der BSVÖ-Fokusreihe im April haben wir einen großen Mythos angesprochen: Blinde und stark sehbehinderte Menschen könnten, so eine gängige Annahme, besonders gut hören. Im Fokus-Bericht: Sinn-Voll. Wer nichts sieht, der muss gut hören. hielte wir schon fest, dass sich das Gehör von blinden und sehbehinderten Menschen nicht durch Zauberhand verbessern würde. Es stimmt aber, dass sich der Fokus der Aufmerksamkeit verlagert und dass blinde und sehbehinderte Menschen zur Orientierung und Navigation auf ihren Hörsinn zählen und diesen entsprechend schulen. Größere Aufmerksamkeit und ein geübter Umgang mit den Sinneseindrücken, die auditiv vermittelt werden, führen dazu, dass blinde und sehbehinderte Menschen in vielen Fällen „besser“ hören als Menschen, die sich auch auf den Sehsinn verlassen. Während das von mehreren Studien untersucht wurde, sieht es beim Riechen aber anders aus.

Ergebnis:? Unklar!

Die Frage, ob blinde und sehbehinderte Menschen mit ihrem Riechsinn Menschen ohne Sehbehinderung überlegen sind, beschäftigt die Wissenschaft schon seit vielen Jahrzehnten. Angefeuert durch Berichte über blinde Menschen, die allein aufgrund von Duftspuren anderen Menschen meilenweit folgen konnten oder auch die kleinsten Hinweise erriechen konnten, wurden in den letzten 120 Jahren rund 30 Studien durchgeführt. So hält es ein vergleichender wissenschaftlicher Artikel aus 2023 aus dem Bereich der Neurologischen Wissenschaft fest. Das Ergebnis der Studien: zweifelhaft. Eine Überlegenheit ließ sich nicht feststellen, aber die Testbedingungen und die Studienparameter hätten in vielen Fällen nicht zu repräsentativen Ergebnissen führen können. Unter den Studien findet sich auch eine, die 2017 in Wien veröffentlicht wurde. Das Ergebnis: „Das Geschlecht hatte keinen Einfluss auf die Ergebnisse. In beiden Gruppen wurden altersbedingte Veränderungen beobachtet, wobei die Geruchswahrnehmung nach dem 51. Lebensjahr abnahm. Wir konnten nicht bestätigen, dass sehbehinderte Menschen besser in der Geruchserkennung und -unterscheidung sind als sehende Personen.“

Im Alltag

Auch wenn sich im Vergleich mit Menschen ohne Sehbehinderung keine Überlegenheit, was den Geruchsinn angeht feststellen ließ, ist das Riechen als Mittel zur Orientierung im Alltag wichtig. Vieles, das nicht final ertastet werden kann, gibt durch den Geruch Hinweis auf seine Beschaffenheit. Besonders im Bereich von Lebensmittel ist das besonders wichtig.

Veronika H. ist seit vielen Jahren blind und leidenschaftliche Köchin. „Für alle, die gerne kochen, ist das Riechen wichtig“, sagte Veronika. „Aber für mich ganz besonders. Ich habe meine Gewürzgläser nicht beschriftet, aber ich weiß genau, worum es sich handelt, sobald ich sie aufgeschraubt habe. Ich würze nach Geruch, nicht nach Rezept!“ Aber auch, ob Lebensmittel noch genießbar oder schon schlecht geworden sind, verrät Veronika ihre Nase. „Ich rieche an allem, bevor ich es in die Pfanne werfe“, sagt Veronika und tippt sich an die Nase. „Das ist mein wichtigstes Organ. Ich weiß, ob der Toast schon knusprig ist, ob die Lasagne noch ein wenig Ofenzeit braucht oder ob der Brotteig noch ein wenig ruhen muss, wenn ich mich auf den Geruch konzentriere.“

Auch beim Einkaufen lässt sich Veronika von ihrer Nase leiten. „Ich nehme Gemüse und Obst immer in die Hand und rieche an den Produkten, bevor ich sie kaufe. Das verrät mir den Reifegrad und die Qualität der Sachen. Wenn ein Paradeiser nicht warm und weich nach Paradeiser riecht, dann kauf ich ihn erst gar nicht. Das gilt auch für Erdbeeren, Äpfel oder Birnen. Die können noch so schön aussehen – da sind sie bei mir an der Falschen!“ Schwierig wird es bei Lebensmittelprodukten, die in Plastik verpackt sind. Veronika kauft deswegen am liebsten frisch und am Markt. Bei Produkten, die sie hier nicht bekommt, wird das Einkaufen oft zu Lotterie, so die blinde Frau. Dann könne man nur hoffen, einen Glücksgriff gemacht zu haben.

Auch bei der Orientierung kann das Riechen weiterhelfen. So berichtet Peter M., dass für ihn Gerüche eine Rolle beim Orientieren in Räumen spielen können. „Wenn ich in die Arbeit komme, empfängt mich einmal der Geruch der Kantine. Am Weg zu meinem Büro weiß ich, auf welcher Höhe ich mich im Gang befinde, wenn ich an der Kaffeeküche vorbei bin und an der großen Ledercouch, die im letzten Drittel des Gangs steht. Dann sind es nur noch wenige Schritte ins Büro.“ Dort, so Peter, rieche es nach den Duftlampen seines Kollegen. „Im Winter nach Orangen und Zimt, im Sommer nach grünem Tee und Minze. Wenn ich den Geruch in der Nase habe, weiß ich, dass mein Kollege da ist.“

 

Weiterführende Links:

Link zur Studie: Do Visually Impaired People Develop Superior Smell Ability? (Dorota Majchrzak (Korresp. Autor*in), Julia Eberhard, Barbara Kalaus, Karl-Heinz Wagner): https://ucrisportal.univie.ac.at/de/publications/do-visually-impaired-people-develop-superior-smell-ability   

 

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