BSVÖ Fokus: Sinn-Voll. Tastsinn und Sehbehinderung.
Unter den Fingerspitzen. Im BSVÖ-Fokus dreht sich alles um die Sinne. Diesmal steht das Ertasten von Information im Vordergrund. Warum es im Winter oft schwieriger ist, an Information zu kommen, wie sich ein Klimtkuss anfühlt und was sich hinter dem Wort „taktil“ so alles verbirgt, lesen Sie hier!
200 Jahre tastbar
Im Jahr 1825 erfand ein 16-jähriger blinder Junge namens Louis Braille in seiner Schule in Paris die Blindenschrift für das taktile Lesen. Seitdem hat sich diese Invention verbreitet und die Lese- und Schreibfähigkeit sowie die Bildung und Beschäftigung von Millionen blinder Menschen auf der ganzen Welt verbessert. Im Jahr 2025 wird der 200. Jahrestag des Braille-Codes gefeiert.
Braille als wichtige Grundlage der Barrierefreiheit und als einzigartiges Werkzeug zur Vermittlung barrierefreier Informationen hat für blinde und sehbehinderte Menschen seit seiner Erfindung eine große Bedeutung. Wie es heute um Braille steht, ob Digitalisierung Braille nach und nach ersetzt oder ob Braille weiterhin die wichtige Stellung bewahrt, die es die letzten 200 Jahre über innehatte, werden wir im Jubiläumsjahr ebenso beleuchten, wie die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der berühmten Punktschrift.
„Taktil“ erklärt
Wahrscheinlich ist Ihnen das Wort schon untergekommen. Für alle, die es noch nie gehört haben, erklären wir es kurz: taktil, das bedeutet, dass durch das Ertasten ein Reiz wahrgenommen werden kann und kommt vom lateinischen Wort für „berühren“. Bei taktiler Informationsvermittlung kommt es zu einer Tastempfindung. Dabei wird generell zwischen der haptischen Wahrnehmung (dem aktives Erfühlen) und der taktilen Wahrnehmung (der passiven Wahrnehmung) medizinisch unterschieden.
Taktil und barrierefrei
Im Bereich der barrierefreien Planung sind taktile Objekte Gegenstände, die Information dadurch vermitteln, dass sie ertastet werden können. Dazu zählen zum Beispiel taktile Bodeninformationen wie Leitsysteme oder auch barrierefrei Beschilderungen, die, im besten Fall unter Einhaltung der Ö-Norm, Information vermitteln. Das erleichtert blinden und stark sehbehinderten Menschen die Orientierung und die selbstbestimmte Navigation. Taktilen Beschriftungen in Brailleschrift oder auch erhabene Profilschrift hilft blinden und sehbehinderten Menschen, an Handläufen, Türschildern, Tastplänen oder Bedienelementen selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen.
Leitlinien freihalten
Wer aufmerksam im öffentlichen Raum unterwegs ist, wird sie schon bemerkt haben: parallele Linien, die in öffentlichen Gebäuden, an Bahnsteigen oder auch auf Gehsteigen am Boden entlang führen. Diese taktilen Bodeninformationen (TBI) oder auch „Leitlinien“ sind aber nicht bloße Dekoration, sondern wichtige Navigationspunkte. Sie dienen dazu, eine möglichst sichere und selbstbestimmte Orientierung zu ermöglichen, indem sie Wegführungen anzeichnen und auf Gefahrquellen, etwa Treppen oder Kreuzungen, aufmerksam machen. Blinde und sehbehinderte Menschen können sich an diesen Linien orientieren und theoretisch darauf vertrauen, dass sie zu einem bestimmten Ziel führen. Ob Aus- oder Eingänge, Terminals, Verbindungsgänge, Straßenüberquerungen. Ob WC-Anlagen oder Schalter; Leitlinien sind grundlegende Orientierungsmittel.
Verwenden, nicht verstellen
Wer Leitlinien verstellt, behindert Menschen, die sich an den TBI orientieren und sorgt für potentiell gefährliche Situationen. Blinde und sehbehinderte Menschen können im schlimmsten Fall über Barrieren stolpern und sich verletzen, aber auch Ausweichmanöver können zu Unfällen führen. Deswegen gilt: Werbeschilder, Sitzgelegenheiten, Koffer, Kinderwägen, etc. haben nichts auf den TBI verloren. Und auch wartende Menschen sollten sich einen anderen Platz suchen!
Kälte und Schnee
Vor allem in der kalten Jahreszeit ist es für blinde und sehbehinderte Menschen oft schwieriger, taktile Infos einzuholen. An Orten, die von der Witterung betroffen sind, ist es nicht immer möglich, sich auf taktile Beschriftungen zu verlassen. Bodeninformationen, die unter einer dicken Schneedecke liegen werden ebenso unbrauchbar wie Handlaufinformation, die unter einer Eisschicht liegt oder schlichtweg so kalt ist, dass ein Ertasten ohne Handschuhe schnell zu einem sehr unangenehmem Empfinden führt.
Ein Klimt-Kuss zum Fühlen
Die Entwicklung innovativer 3D-Technologien und multi-sensorischer Methoden hat in den vergangenen Jahren völlig neue Möglichkeiten eröffnet, museale Ausstellungsobjekte und Bilder auch blinden und sehbeeinträchtigen Menschen zugänglich zu machen. Dazu zählte unter anderem das wohl berühmteste Bild des Belvederes: Gustav Klimts, Liebespaar (Kuss) aus 1908, das im Rahmen des AMBAVis-Projekts in Kooperation mit dem BSVÖ der Öffentlichkeit permanent zugänglich gemacht wurde.