BSVÖ: Massiver Rückschritt im Kampf für Gleichbehandlung: EU-Antidiskriminierungsrichtlinie aus dem Programm genommen
Für eine inklusive und chancengleiche Gesellschaft braucht es auch den gesetzlichen Rahmen. Die Antidiskriminierungsrichtlinie hätte diesen Rahmen stellen können. Nun wurde sie ohne Vorwarnung aus dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission gestrichen. Der BSVÖ und Behindertenrechtsorganisationen in ganz Europa zeigen sich geschockt.
Die Vorstellung des neuen Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission, das sich vor allem auf die Bereiche Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit stützt, war ein Schock für Behindertenrechtsorganisationen und ihre Mitglieder in der gesamten Union. Denn ganz ohne Vorwarnung oder öffentliche Debatte wurde die seit 17 Jahren forcierte – und durch den Widerstand von Deutschland, Italien und der Tschechischen Republik ebenso lange blockierte – Antidiskriminierungsrichtlinie nun endgültig aus dem Programm genommen. Die Richtlinie hätte den „Grundsatz der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ zum Ziel gehabt und so das Leben von Millionen Menschen direkt verbessert.
Eine enorme Chance vertan
Für Menschen mit Behinderungen hätte die Richtlinie auch mangelnde Barrierefreiheit oder angemessene Vorkehrungen als Diskriminierung eingestuft. Der Geltungsbereich hätte sich auf öffentliche und private Dienstleistungen, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Bildung und den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, inklusive Wohnraum, bezogen. Ein derartiger in allen EU-Staaten verpflichtend umzusetzender Rechtsakt hätte enorme Auswirkungen auf genau die Bereiche gehabt, in denen Menschen mit Behinderungen immer noch stark benachteiligt werden.
Keine öffentliche Debatte
Neben der Enttäuschung über den Entschluss an sich ist auch die Art der Entscheidungsfindung stark zu kritisieren. Diese wurde nämlich „ohne Vorwarnung oder Konsultation mit anderen EU-Institutionen oder der Zivilgesellschaft getroffen. Sie wurde in einem Anhang zum Arbeitsplan 2025 der Kommission mit der Begründung vorgelegt, dass sie seit 17 Jahren von den nationalen Regierungen, insbesondere von Deutschland, blockiert wird. Und das, obwohl während der letzten EU-Ratspräsidentschaften erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, um die Richtlinie endlich zu verabschieden“, so das Europäische Behindertenforum in einem Statement.
Wie geht es nun weiter?
Zunächst die gute Nachricht: das Programm ist noch nicht angenommen, es bleibt noch etwas Zeit, um die Richtlinie doch noch von der Liste der Rücknahmen zu streichen. Deshalb ist nun ein gemeinsames Auftreten der nationalen und europäischen Behindertenorganisationen gefragt, um zu verhindern, dass die EU eine ähnliche Richtung einschlägt wie die USA, wo in den Bereichen Inklusion und Vielfalt bereits massiv gekürzt wird. „Als EU müssen wir zusammenstehen für Vielfalt und Nichtdiskriminierung, und das nicht nur symbolisch, sondern mit verbindlichen Rechtsvorschriften“, betont die einzige Frau mit sichtbarer Behinderung im Europäischen Parlament, Katrin Langensiepen. Denn die EU habe die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und müsse Menschen mit Behinderungen „einen rechtlichen Rahmen geben, damit wir unsere Rechte einfordern können“, so Langensiepen, die auch der interparlamentarischen Gruppe von Menschen mit Behinderungen vorsteht.
In diesem Sinne werden wir gemeinsam mit der Europäischen Blindenunion und dem Europäischen Behindertenforum unser Möglichstes tun, um die Mitgliedsstaaten zum Umdenken zu bewegen. Denn wirtschaftlicher Wohlstand und Sicherheit für alle können nur funktionieren, wenn auch wirklich alle daran teilhaben, mitarbeiten und mitdiskutieren können.
Aufgeben?
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich appeliert an Entscheidungsträger:innen, die Antidiskriminierungsrichtlinie als zukunftweisendes Werkzeug wahrzunehmen und nicht alternativlos zu streichen. Für ein sicheres, chancengleiches und inklusives Europa braucht es Grundlagen, auf die gebaut werden kann.
Quellen: EDF, ÖBR