Einblicke. BSVÖ-Präsident Markus Wolf: Warum es den Dialog braucht
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Der Durchblick - Einblicke. Warum es den Dialog braucht. Portrait von Präsident Markus Wolf.
Wir stehen vor einem neuen Jahr mit neuen Chancen und auch Herausforderungen. Warum Kommunikation das Um und Auf ist, erzählt uns Präsident Dr. Markus Wolf.
Wo verschiedene Meinungen aneinander geraten, werden schnell Mauern errichtet. Ob politisches Lager, Vertreter:innen von Umwelt, von Minderheiten oder speziellen Interessensgruppen, ob Aktivist:innen oder anderwärtig Betroffene; wer seine Überzeugungen kundtut und danach handelt, stößt damit nicht immer auf Verständnis. Für ein gutes Miteinander ist es aber notwendig, zuzuhören und zu versuchen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Das kann nur funktionieren, wenn auf Dialog gesetzt wird.
Als der „Österreichische Blindenverband“ 1946 mit Landesgruppen gegründet wurde, war er als Plattform dringend notwendig. Nach den Kriegsjahren wurde auf diesem Wege eine Einrichtung geschaffen, in der die Forderungen blinder und sehbehinderter Menschen für ein selbstbestimmtes Leben breit repräsentiert wurden. Erstmals waren es nicht mehr viele Individuen, die nebeneinander für ihre Rechte eintraten, sondern eine Anlaufstelle, die zum Sprachrohr wurde. In dieser Versammlung der Stimmen konnten auch Fortschritte errungen werden, die zur Verbesserung der Lebensrealität blinder und sehbehinderter Menschen grundlegend notwendig waren.
Stimmen versammeln, Wege bereiten
Heute, bald 80 Jahre nach der Gründung des Verbandes, ist das Versammeln und Repräsentieren der Stimmen weiterhin eine der wichtigen Grundlagen der Verbandsarbeit. Dazu zählt einerseits, Forderungen an Entscheidungsträger:innen zu kommunizieren. Dazu zählt aber auch, Missstände aufzuzeigen. Von diesen gibt es nach wie vor viele, auch wenn in den letzten Jahrzehnten viel Positives umgesetzt werden konnte.
Um als inklusive Gesellschaft zu wachsen, ist der Austausch mit unterschiedlichen Seiten erforderlich. Im konkreten Fall heißt das für uns als Verband: präsent sein, offen kommunizieren, den Dialog suchen. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Anliegen auch wirklich ankommen – oder zumindest wahrgenommen werden. Dass die tatsächliche Umsetzung auf einem ganz anderen Blatt steht, muss als manchmal zermürbender Teil der Verbandsarbeit anerkannt werden. Bis neue Maßnahmen eingeleitet und Richtlinien, Normen oder Gesetze zur Anwendung kommen, dauert es oft zu lange. Übergangsfristen von mehreren Jahren sind ebenso wenig eine Seltenheit wie Fortschrittsprozesse, die aufgrund neuer Regierungsformatierungen oder anderer Umstände alternativlos gestoppt werden.
Neue Chancen?
Mit der neuen Regierungsbildung stehen wir in Österreich nun an einem Scheidepunkt, der besonders viel Dialog erfordert. Nun werden die Weichen für die nächsten Jahre gelegt, weshalb es erforderlich ist, schon zu Beginn klare Standpunkte, Forderungen und Missstände zu kommunizieren, um nicht hinten angereiht zu werden. Was aber bedeutet das konkret für den BSVÖ?
Dialog, Dialog und richtig – noch mehr Dialog. Die Brennpunkte müssen den neuen Entscheidungsträger:innen bewusst sein, um auch in weiterer Folge berücksichtigt zu werden. Der BSVÖ geht deswegen schon in der Frühphase der Regierungsbildung auf die Parteivorsitzenden und – falls vorhanden – Behindertensprecher:innen zu, um die Anliegen des Verbandes zu vermitteln. Sie alle richten sich danach, für blinde und sehbehinderte Menschen die Grundlage für ein möglichst selbstbestimmtes Leben in einer möglichst inklusiven Gesellschaft zu schaffen. Einige Bereiche spielen hierfür eine besondere Rolle.
Fairer Zugang zu Arbeit
Rund 50 % der blinden und stark sehbehinderten Menschen im erwerbsfähigen Alter in Österreich stehen nicht in Beschäftigung. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, dass Chancengleichheit am Zugang zum ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen nach wie vor nicht gegeben ist. Um mehr Menschen in die Beschäftigung zu bekommen, ist die Schaffung eines bedarfsgerechten Zugangs zu berufsunterstützenden Maßnahmen, Beratungs- und Vermittlungsleistungen sowie die Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung notwendig. Menschen mit Behinderungen müssen bei der Ausbildung, der Wahl und dem Zugang zum Job von allen involvierten Stellen als gleichwertige Arbeitskraft anerkannt werden.
(Inklusive) Bildung für alle
Ein hochwertiges, barrierefreies Bildungsangebot für blinde und sehbehinderte Menschen ist eine grundlegende Voraussetzung für Chancengleichheit und Teilhabe. Bildung und Fördermaßnahmen müssen schon im frühesten Alter und in allen Bundesländern gleichermaßen angeboten werden, damit Potentiale von Anfang an entfaltet werden können. Von Frühförderung der Kleinsten bis zum Lernen im Alter – barrierefreie Bildungsangebote, Unterstützungsleistungen, bedarfsorientierte Vermittlung durch speziell geschultes pädagogisches Lehrpersonal und Unterstützung durch Persönliche Assistenz auch für Lernende mit Sinnesbehinderungen; all dies sind Maßnahmen, die persönliche Stärken und Fähigkeiten fördern und später zu einem selbstbestimmten Leben führen sollen. Nur wer gute Bildungschancen hat, kann in späterer Folge auch am Arbeitsmarkt bestehen.
Ausfinanzierung von Blindenführhunden
Sichere und selbstbestimmte Mobilität ist für Teilhabe und ein selbstständiges Leben Voraussetzung. Blindenführhunde können einen erheblichen Teil dazu beitragen, Mobilität und Sicherheit gleichermaßen zu fördern. Für Personen, die nicht mehr oder noch nicht im Berufsleben stehen, gibt es aber keine funktionierende Finanzierung der wertvollen Hunde, die auch ihren Preis haben. Die Anerkennung des Blindenführhundes als Rehabilitationsmaßnahme und nicht als Hilfsmittel wie bisher würde das Problem lösen. Ein Blindenführhund ist für Privatpersonen eine höchst kostspielige Anschaffung, die sich nur die Wenigsten leisten können. Mit rund um die 40.000 Euro können die Kosten ohne Maßnahmen zur Finanzierung kaum aufgebracht werden, was selbstständige Mobilität verhindert.
Teilen von barrierefreiem Informationsmaterial und von Literatur
Blinde und sehbehinderte Menschen sind weltweit davon betroffen, nicht auf alle Informationen, Zeitschriften und Bücher zugreifen zu können, wenn diese nicht in barrierefreier Form produziert werden. Barrierefreie (Audio-)Bücher sind kosten- und zeitaufwendig zu produzieren. Die Hörbücherei des BSVÖ – die größte des Landes – stellt selbst Hörbücher in den eigenen Produktionsstudios her und ist dank hervorragender Vernetzung fähig, Titel länderübergreifend auszuleihen und den Mitgliedern zur Verfügung zu stellen. Der Vertrag von Marrakesch erlaubt es Staaten, Werke in barrierefreien Formaten grenzüberschreitend auszutauschen. Er hat es zum Ziel, den Zugang zu barrierefrei erschlossenen Werken für blinde und sehbehinderte Personen ressourceneffektiv und niederschwellig zu ermöglichen. Österreich hat den Vertrag ratifiziert, dennoch sind Urheberrechtsanpassungen notwendig, um einen reibungslosen Austausch auch über Grenzen hinweg zu ermöglichen.
Dialog und Handeln
Natürlich reicht es nicht, nur zu reden. Es ist nicht genug, dass Anliegen und Forderungen wahrgenommen und dann zur Seite geschoben werden. Hier sind Entscheidungsträger:innen im Zugzwang. Der BSVÖ wird – wie auch schon im Jahr seiner Gründung als dringend gebrauchte Interessensvertretung blinder und sehbehinderter Menschen – weiterhin die Stimmen blinder und sehbehinderter Menschen in ganz Österreich versammeln und sich dafür einsetzen, dass Barrieren abgebaut werden. Die chancengleiche Gesellschaft ist möglich; dafür müssen den Worten aber auch Taten folgen.
Der Durchblick
Dieser Beitrag erschien im Verbandsmagazin "Der Durchblick" 2024/02
Sie können das Magazin hier digital lesen und auch anhören! Link zur aktuellen Ausgabe: https://www.blindenverband.at/de/information/durchblick/archiv/2400/Der-Durchblick-2024