BSVÖ Fokus Popkultur. Blindheit im Film! Horror mit dem Horror. Don’t Breathe (2016)
Film © BSVÖ
"BSVÖ Fokus Popkultur. Blindheit im Film! Horror mit dem Horror. Don’t Breathe (2016)" Grafik eines Filmsets mit blinder Person.
Im November, wenn der Herbst dazu einlädt, es sich daheim gemütlich zu machen und den einen oder anderen Abend vor dem Fernseher zu verbringen, widmen wir uns im Fokusthema des Monats der Popkultur, genauer: der Darstellung von Blindheit in Spielfilm und Serien. Wie werden blinde Menschen dargestellt und welche Klischees werden bedient, spielt Ableismus eine Rolle? Was sagt das Bild, das von blinden Menschen vermittelt wird, über Annahmen und Vorurteile aus? Und können gut gemachte Filme auch zur Sensibilisierung beitragen? Wir haben uns einige Beispiele genauer angesehen und auf Mythen, Stereotypen aber auch Sensibilisierungsprozesse abgeklopft. Ob es sich auszahlt, diese Filme für einen gelungenen Filmabend zu wählen, erfahren Sie hier…
Don’t Breath (2016)
Genre: Horror
Regie: Fede Álvarez, 88 Minuten, USA
Der erste Beitrag in dem ein blinder Mensch zum Protagonisten wird, hat es gleich in sich. Mit dem Horrorfilm „Don’t Breath“ aus 2016 gelang dem uruguayischer Filmregisseur und Drehbuchautor Fede Álvarez ein unerwarteter Riesenerfolg.
Mit einem Budget von 9,9 Millionen Dollar spielte der nicht einmal eineinhalb Stunden lange Film beinahe 160 Millionen weltweit ein.
Worum geht es
Drei Kleinkriminelle planen, einzubrechen und suchen sich dafür ein Haus in Detroit aus. Darin wohnt ein blinder Veteran, der angeblich viel Entschädigungsgeld daheim gebunkert haben soll. Das Geld stammt daher, dass seine Tochter von einer Frau überfahren wurde.
Als die drei ihren Plan umsetzen, finden sie aber nicht das Geld, sondern die Frau, die für den Unfall verantwortlich ist: sie wird im Haus gefangen gehalten. Jetzt beginnt der große Horror, der blinde Mann, lässt die Einbrecher nicht einfach so entkommen. Er stellt den Strom ab und kann sich in der Finsternis des Hauses orientieren. Im weiteren Verlauf erleben die Einbrecher (und Schreckensstunden, in denen nicht nur die festgehaltene Unfalllenkerin ihr Leben lässt, sondern auch die Zahl der Kriminellen dezimiert sich.
Darstellung der Blindheit
Der Film, der 2016 in die Kinos kam, baute auf den Erfolg des Vorgängerfilms Evil Dead (2013) auf. Da es sich dabei um einen Film handelt, der dem Horrorgenre entspringt, wird die Blindheit des Protagonisten als Element des Unheimlichen und Angstmachenden instrumentalisiert. Der blinde Veteran ist in seinem eigenen Haus den Einbrechern weit überlegen, orientiert sich gekonnt und erfahren durch die Räume der Finsternis. Indem er den Strom abschaltet und für Dunkelheit sorgt, spielt er seinen Orientierungsvorteil aus. Aber auch, wenn er dadurch eine gewissermaßen starke Position im Gegensatz zu den nicht sichtbar behinderten Einbrechern hat, ist er als blinder Mensch nur Schablone des Horrors. Man fürchtet sich vor ihm, weil er eine Geisel im Keller hält und die Dunkelheit, die im Horrorgenre klassisch bedient wird, um Angst zu schüren, für seinen klaren Vorteil nutzt. Dadurch wird er zum gefürchteten Antagonisten und Freak. Blindheit und Behinderung als Horrorelement? Für „Don’t Breathe“ ist das eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Ist dies im Sinne popkultureller Freiheit legitim? Darüber lässt sich wohl streiten.
In seiner Review geht der körperbehinderte Dominick Evans auf dem Portal Center für Disability Rights ausführlich ein und legt wichtige Kritikpunkte offen.
Auszüge aus seiner Filmbesprechung (aus dem Englischen übersetzt):
„Die blinde Figur hat keinen richtigen Namen. Er ist einfach als „The Blind Man“ bekannt. Der Schauspieler, der ihn spielt, Stephen Lang, sagt, der Blinde spreche selten. Der Blinde hat also schon jetzt keine eigene Stimme und keinen Namen. Er hat keine andere Identität mehr als die eines blinden Mannes. Lang ist nicht behindert, zumindest nicht körperlich, also sagt er, er habe seine Hausaufgaben gemacht (Videos von Blinden angeschaut) und sich auf seinen nicht blinden Regisseur verlassen, der ihm sagte, ob er glaubwürdig sei. Das ist richtig. Er ließ sich von jemandem, der nicht blind ist, sagen, ob er einen guten Blinden abgibt. Er sagte auch, dass es darum ging, das physische Verhalten blinder Menschen zu studieren, damit er seine Darstellung realistisch gestalten konnte.
Lang sagte gegenüber Daily Dead: „Ich habe eng mit Fede zusammengearbeitet, weil er derjenige ist, der durch die Linse schaut. Er ist derjenige, der mir sagen kann, ob das, was ich tue, glaubwürdig ist. Ich habe aber auch meine Hausaufgaben gemacht, damit ich ein Verständnis für einige der physischen Verhaltensweisen entwickeln konnte.“
Das ist das Hauptproblem, wenn nicht behinderte Menschen Figuren mit Behinderungen spielen. Sie glauben, Behinderung sei nichts weiter als eine Reihe von körperlichen Merkmalen, selbst wenn die Behinderung unsichtbar ist. Für Lang war es sehr wichtig, dass die Zuschauer seine Augen sehen konnten. In Interviews hat er davon gesprochen, dass sie spezielle Kontaktlinsen verwenden, damit seine Augen aussehen, als wären sie von einem Schrapnell beschädigt worden. Es wird auch angedeutet, dass seine Figur aus dem Gleichgewicht geraten ist und möglicherweise an einer PTBS leidet, da er ein Kriegsveteran ist, der unter seinen Kriegsverletzungen „gelitten“ hat. Damit wird erklärt, warum er die drei jungen Erwachsenen, die in sein Haus einbrechen, jagt und foltert. Selbst als Rocky aus dem Haus flieht, taucht er schnell hinter ihr auf und zerrt sie zurück ins Haus, damit er sie zu einem Katz- und Mausspiel ums Überleben zwingen kann.
Schließlich bringt Evans das Problem auf den Punkt:
Don't Breathe ist in seinem Kern voller Behindertenfeindlichkeit. Das Marketing verwendet Slogans wie „In der Dunkelheit ist der Blinde König“, was die Behinderung noch weiter als Mittel zum Vorantreiben der Geschichte einsetzt. Ich meine, niemand erwartet von blinden Menschen, dass sie sich verteidigen können oder dazu in der Lage sind. Das wäre ja furchtbar! Das würde man niemals kommen sehen“! Sarkasmus beiseite, die Tatsache, dass die Filmemacher auch nicht erkennen, dass ihr Film oder zumindest ihr Trailer von Behindertenfeindlichkeit geprägt ist, verheißt nichts Gutes für die Blindengemeinschaft.
Die meisten Menschen scheinen nicht zu erkennen, dass schädliche Darstellungen lang anhaltende Auswirkungen auf diejenigen haben, die sie repräsentieren sollen. Jedes Mal, wenn eine behinderte Person von einer nicht behinderten Person gespielt wird, die sich auf körperliche Merkmale stützt, um eine Behinderung darzustellen, erfährt das Publikum, was es über Behinderung zu wissen glaubt. Selten ist das richtig. Die Darstellung in den Medien bringt die Menschen dazu, uns zu bemitleiden, zu fürchten, zu hassen und uns als Last zu betrachten. Die meisten Fehlinformationen über Behinderungen stammen aus der Darstellung in den Medien. Diese Darstellungen haben Einfluss darauf, wie wir behandelt werden, ob wir einbezogen werden und sogar darauf, ob Politiker bereit sind, Gesetze zu verabschieden, die unsere Bedürfnisse unterstützen.Die Darstellung ist nicht nur wichtig, sondern die Nichtbesetzung dieser Rollen mit behinderten Schauspielern gibt Hollywood einen weiteren Grund, uns nicht für das nächste Projekt zu besetzen, das ansteht. Als Gemeinschaft müssen wir verlangen, dass Casting-Agenten behinderte Schauspieler vorsprechen lassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufhören müssen, Filme zu drehen, in denen behinderte Menschen nur als Behinderte dargestellt werden. Wir müssen als Protagonisten besetzt werden, die Menschen sind, die zufällig eine Behinderung haben, aber unsere Behinderung ist nicht das Einzige, was wir sind. Wir müssen auch in allen Arten von Filmen eine Rolle im Hintergrund spielen. Die Dinge müssen sich auf so vielen Ebenen ändern. Aber wie ich schon oft gesagt habe, wenn wir nicht einmal uns selbst spielen dürfen, wen dürfen wir dann spielen?
Fazit
Don’t Breath soll mit Grusel, viel Blut und noch mehr Grausamkeiten den Horrofan unterhalten. Dass dabei Blindheit als Ausgang der Angst instrumentalisiert wird und die Behinderung in einer seltsamen Drehung dazu führt, dass der Antagonist den Hauptfiguren überlegen ist, entbehrt nicht nur jeder sensiblen und gut recherchierten Grundlage – es bedingt auch eine Mystifizierung blinder Menschen als Individuen, die aufgrund ihrer Behinderung Menschen ohne Behinderungen in einer gewissen Situation eindeutig überlegen sind. Auch, wenn dies in einigen Fällen bestimmt zutrifft, so wird diese „Supermacht“ im Film ganz klar als etwas eingesetzt, das Schrecken bedingt. Dass im Prozess des Entstehens blinde und sehbehinderte Menschen nicht eingebunden waren und sowohl der Darsteller als auch der Regisseur darauf verzichteten, mit betroffenen Menschen zu kooperieren – oder gar eine betroffene Person als blinden Darsteller zu casten, zeigt einmal mehr die Problematik der medialen Unterrepräsentation von Menschen mit Behinderungen. Der wahre Horror entsteht also im Umgang mit Blindheit.
Kann man sich den Film dennoch zu Gemüte führen? Horrorfans kommen auf ihre Rechnung, wenn sie bereit sind, über die Reihe an Klischees, Vorurteilen und nicht zuletzt billigen Schockern hinweg zu sehen. Für die Zeit um Halloween reicht es allemal.
Weiterführende Links
Film Zusammenfassung https://de.wikipedia.org/wiki/Don%E2%80%99t_Breathe
Dominik Evans Kritik (englisch): https://cdrnys.org/blog/advocacy/dont-breathe-uses-blindness-as-a-plot-device-while-casting-a-seeing-actor/