BSVÖ: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Mythen der Barrierefreiheit Teil 4
Mythen © BSVÖ
Mythen der Barrierefreiheit. Grafik eines Menschen mit Brile, Taststock und Hund, um ihn Fragezeichen.
"Geht ein blinder Mensch ins Museum, um sich den Picasso anzusehen..." Was für manche wie der Auftakt zu einem schlechten Witz klingt, ist für andere auf keinen Fall zum Lachen: ja, auch unter blinden und sehbehinderten Menschen gibt es Kunstliebhaber:innen. Und nein, Kunst ist nicht nur was für jede mit perfektem Visus.
Fühlbare Kunst
Chris liebt es, zu malen. Er sei, so sagt er, das blinde Äquivalent zu Beethoven. Der hat irgendwann nicht mehr gehört, was er komponiert, Chris hat irgendwann nicht mehr gesehen, was er malt. Aber das hält ihn nicht davon ab, ins Atelier im Wintergarten zu gehen und dort Farben auf eine Palette zu quetschen. „Wenn ich die Farben rieche, entspannt mich das schon“ , sagt Chris und führt vor, wie er – sechs Jahre nach seiner vollständigen Erblindung – heute malt. Die Farben kommen dick aus der Tube und härten zu tastbaren Strukturen auf der Leinwand aus. Zusätzlich mischt Chris verschiedene Materialien in seine Kunstwerke. Blätter, Steinchen, Flaschenverschlüsse oder auch Knöpfe hat er schon verarbeitet und ist ständig auf der Suche nach neuen Materialien. Und wenn er Zeit hat, liebt er es, ins Museum zu gehen. „Manche Freundinnen und Freunde glauben, ich spinne. Aber mir gibt es viel, zu wissen, dass ich vor einem echten Dürer oder einem Edvard Munch stehe.“
Kunst zuhören
Das Zauberwort ist wieder einmal: Teilhabe durch Mehrsinn. Taktile Modelle von eindimensionalen Bildern, ausgefeilte Audio-Guide-Beschreibungen oder Kunstvermittlung durch speziell pädagogisch geschultes Personal können den Museumsbesuch auch für blinde und sehbehinderte Menschen zum multisensionellen Abenteuer machen.
Aktiv im Museum
Nichts also mit Schweigen und kontemplativer Betrachtung der Bilder über den rein visuellen Weg. Museen, die auf Inklusion setzen, machen Tastbarkeit und Mehrsinneserfahrungen möglich, setzen auf eine umfassende Kunstvermittlung, die auch andere Menschen abholt. Chris geht deswegen gern mit seiner kleinen Nichte ins Museum. „Manchmal machen wir gemeinsam eine Führung für Kinder mit, manchmal lasse ich mir auch von ihr ein Bild beschreiben und höre mir erst später den Audioguide dazu an“, berichtet Chris.
Gerade im musealen Bereich ist eine inklusive und barrierefreie Wissens- und Kulturvermittlung essentiell. Als Einrichtungen mit Bildungsauftrag kann nur so sichergestellt sein, dass niemand der freie und selbstbestimmte Zugang zu Kunst versagt bleibt. Denn die ist bekanntlich für alle da.