BSVÖ im Fokus Disability Pride Month IV: Soll, aber muss nicht.
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BSVÖ Fokus Disbility Pride Month: Soll aber muss nicht. Herz mit der Disbability Pride-Flagge
Theoretisch sind sich alle einig, dass Barrierefreiheit wichtig ist. Theoretisch gibt es Gesetze, in denen Barrierefreiheit verankert ist. Theoretisch hat sich Österreich zur Barrierefreiheit verpflichtet. Warum hapert es in der Praxis dann aber doch an allen Ecken und Enden? Ein Lokalaugenschein im BSVÖ Fokus zum Disability Pride Month.
Brennpunkt: Leitsystem und Hürdenlauf
Taktile Bodeninformationen (TBI) sind für blinde und auch sehbehinderte Menschen ein wichtiges Orientierungsmittel. Die Leitlinien am Boden führen zu wichtigen Punkten und ermöglichen so eine selbstbestimmte Navigation. Damit ein TBI auch sinnvoll angelegt wird, bedarf es der Planung. Die dauert, muss von Expert:innen überlegt und ausgeführt werden und ist kostenaufwendig. Und dennoch: TBI können ihren Zweck oft nicht erfüllen. Der simple Grund: sie werden verstellt. Ob Fahrzeuge, Gastgärten, Bautafeln im Freien oder Möbel, Aufsteller vor Geschäften oder Sitzgelegenheiten Drinnen; vielen ist nicht bewusst, wofür Leitlinien da sind. Und dann gibt es auch noch das Problem des Interessenskonflikts. In einem speziellen Fall etwa wurde in einer Postfiliale das Leitsystem, mit Schmutzmatten am Eingangsbereich bedeckt, weil man in der Filiale Rutschunfälle in den kalten Jahreszeiten vermutete. Diese Lösung war natürlich alles andere als sinnvoll und auf die Intervention eines aufmerksamen Mitglieds des BSVÖ und mehrere Schreiben seitens des Verbandes wurden die Schmutzmatten entfernt und der Weg wieder frei. Auch sorgte eine großangelegte Kampagne rund um den Tag des weißen Stocks 2023 dafür, dass die Bedeutung von Leitlinien im öffentlichen Bereichen verankert wurde. In Kooperation mit u.a. den Wiener Linien und den ÖBB konnte auch in Transferräumen für mehr Bewusstsein gesorgt werden.
Brennpunkt: Netzwerk und Labyrinth
Damit eine Webseite von allen User:innen einwandfrei genutzt werden kann, muss sie so strukturiert und programmiert sein, dass sie z.B. auch ohne Maus navigierbar ist. Wenn man bedenkt, wie viele Webseiten existieren und womöglich schon seit sehr langer Zeit ohne größere Aktualisierungen bestehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Großteil davon Fehler in der Barrierefreiheit aufweist, groß. Und tatsächlich: der WebAIM Million Report, bei dem eine Million Webseiten auf Fehler untersucht wurde, zeigte das Problem. 98,1% beinhalteten mindestens einen WCAG 2.0 Fehler. Zur Erklärung: WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) sind ein internationaler Standard zur barrierefreien Gestaltung des Webs. Die WCAG sollen eine einheitlich barrierefreie Nutzung ermöglichen. Es gibt sie also, die (verbindlichen) Richtlinien. Sie müssen aber auch umgesetzt werden und hierfür benötigt es sowohl das Know-How als auch das Verständnis, weshalb barrierefreie Internetangebote und Webseiten, Apps und digitale Services mehr sind als ein großzügiges Angebot.
Brennpunkt: Barrierefreie Haushaltsgeräte
Wenn die eigene Waschmaschine nicht bedient werden kann, weil die Schaltflächen fehlen oder Kochplatte, Kaffeemaschine und Co zu großen, geheimnisvollen Geräten werden, sind blinde und stark sehbehinderte Menschen auf fremde Hilfe angewiesen – und das in den eigenen vier Wänden.
Der Trend der letzten Jahre entwickelte sich ungebremst in eine Richtung: weg von hervorstehenden Knöpfen und Schaltern hin zu einem schlanken, glatten Design, das Geräte mittels Touchscreens bedienen lässt. Moderne Haushaltsgeräte werden zu intelligenten Mitbewohnern, die wissen, wie viel Waschmittel gut für den Lieblingspullover ist und ob noch Milch im Kühlschrank steht. Taktile Bedienelemente hingegen werden als formüberholt und gestrig immer seltener beim Design neuer Geräte eingesetzt.
Für viele Menschen entstehen dadurch Probleme, die sich in viele Bereiche des Alltags ziehen. Die Zugänglichkeit zu vielen aktuell auf dem Markt befindlichen Produkten ist für eine große Anzahl von Menschen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Diese Personengruppen sehen sich neuen Herausforderungen und oftmals unüberwindbaren Hürden gegenüber.
Gemeinsam mit dem Schweizer Zentralverein für das Blindenwesen und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband wollen wir im Rahmen unserer Home Designed for All - Arbeitsgruppe (vormals DACH Haushaltsgeräte) diesem Anliegen mehr Gewicht verleihen: in der Öffentlichkeit, in den Medien, in der Politik und in der Wirtschaft.
Die Liste an Brennpunkten endet hier noch lange nicht und täglich kommen neue Fallbeispiele theoretischer Barrierefreiheit hinzu. Der BSVÖ setzt sich dafür ein, dass aus Theorie Praxis wird. Wenn Sie auf Probleme stoßen, zögern Sie nicht, diese an entsprechende Stellen zu melden.
Für digitale Barrierefreiheit etwa gibt es in Österreich 10 offizielle Anlaufstellen:
Sie können sich auch an Ihre lokale Landesorganisation wenden. Diese setzt sich dafür ein, dass die Beschwerde an die richtige Stelle weitergeleitet wird.