Barrierefreies Bauen: Die große Unbekannte
Josef Sögner über missverstandene Barrierefreiheit, den Schrecken des Nachrüstens und warum Überschuss oft kontraproduktiv ist.
Ing. Josef Sögner, Referent für barrierefreies Bauen im BSVÖ © BSVÖ Gassenbauer
Ing. Josef Sögner, Referent für barrierefreies Bauen im BSVÖ
Aus der "Der Durchblick"-Reihe:
Wo liegen die Missverständnisse bei der Barrierefreiheit und wie können gut gemeinte aber falsch umgesetzte Maßnahmen zu neuen Hindernissen werden? Dass nicht alles gut ist, das neu ist, ist bekannt. Aber wie kann gerade im baulichen Bereich neu Errichtetes auch gleich sinnvoll barrierefrei werden?
Josef Sögner ist Referent des Blinden- und Sehbehindertenverbandes für barrierefreies Bauen.
Nicht nur Schikanen
„Da kommt es nicht selten zu einem großen AHA seitens der Planer“, sagt Josef Sögner, Referent für barrierefreies Bauen des BSVÖ. Etwa, wenn ein taktiles Bodenleitsystem ins Kopfsteinpflaster gefräst wird und man das akustische Umsetzen des Musters und des Pflasters nicht mehr unterscheiden kann. „Es braucht links und rechts eine glatte Fläche, wenn das Umfeld rau ist. Barrierefreiheit ist, auch wenn sie leider immer noch oft so wahrgenommen wird, keine Schikane.“
Dass es oft nicht am Willen oder der Motivation der Bauträger, sondern an mangelnder Nutzungserfahrung liegt, dass Projekte in ihrer Barrierefreiheit scheitern, ist eine Problematik, die sich lösen ließe. Theoretisch zumindest, denn die Praxis sieht anders aus. Während es Instanzen wie das KMS, das GMI und eben das Referat für Barrierefreiheit gibt, die sich mit aktuellen Normen Überholungen beschäftigen und die in der Materie fix sind, fehlt dennoch einerseits die gesetzliche Implementierung und andererseits die Routine der Planer, sich vorab zu informieren. Das selbstständige Planen und Bauen kann zu dreierlei Ergebnissen führen: Im Idealfall wird alles richtig gemacht und werden alle Elemente der Barrierefreiheit vorausschauend und durchdacht eingesetzt.
Der goldene Mittelweg ist oft nicht leicht zu finden
Da der Idealfall zwar eine wünschenswerte Variante ist, meistens aber Utopie bleibt, zeigen sich eher die anderen Wege. Auf dem einen wird Barrierefreiheit übergangen, am anderen übertrieben eingesetzt. „Das kann man sich vorstellen, wie einen Schilderwald für Sehende.
Zu viele Informationen auf einmal können nicht verarbeitet werden und bewirken das Gegenteil dessen, was eigentlich beabsichtigt war“, so Sögner, der in seiner Funktion als Berater oft vor solcherlei Problemen steht. „Nicht selten wird davon ausgegangen, dass taktile Bodenleitsysteme in öffentlichen Gebäuden zu beinahe allen Räumen verlegt werden müssen. Es gibt die Linie und es gibt ein Feld, das Abzweigungen und Situationsänderungen anzeigt. Früher war das ein Noppenfeld, neuerdings gibt es hierfür auch andere, robuste Lösungen. Wenn also in gedachten komplexen Liniensystemen eine Situationsänderung eingeführt wird, zum Beispiel eine T-Kreuzung, so ist hier noch in keiner Weise angezeigt, wohin die Abzweigung führt. Blinde und sehbehinderte Menschen, die solch ein System zum ersten Mal benutzen, werden sozusagen vor die Wahl gestellt, ohne die Wahlmöglichkeiten zu kennen.“
Immer auch den Schulungsaufwand mitdenken!
Bei komplexen Bodenleitsystemen wäre für die sinnvolle Benutzung eine Schulung notwendig und diese wiederrum zahlt sich nur aus, wenn das Objekt mehrmals oder sogar regelmäßig benutzt wird. „Bahnhöfe wären solch ein Beispiel“, sagte Sögner. „oder natürlich auch Bildungseinrichtungen. Trotzdem sollte die intuitive Nutzung jedes Leitsystems im Vordergrund der Planung stehen.“
Gerade in neuen Projekten steht Design nicht selten über Bedienfreundlichkeit. Waren sogenannte Zehnertastaturen in Aufzügen durch tastbare Felder noch grundsätzlich bedienbar, sind neuartige Touch Panels zwar glatt, gut zu reinigen und wahrscheinlich weniger störungsanfällig – barrierefrei sind sie allerdings nicht. „Trotzdem kommt das Touch Panel in Liften immer wieder. Wohnt eine blinde oder sehbehinderte Person in einem solchen Gebäude, darf es nicht alleine an ihr liegen, sich mit großem Aufwand für ein barrierefreies Bedienen einzusetzen.“
Bitte nachfragen. Wir sind für Sie da!
Das Konsultieren von kompetenten Vertretern der Behindertenvereinigungen ist die Grundlage für ein im Ende erfolgreiches Bauprojekt. Josef Sögner hofft hierbei auf einen Multiplikationseffekt. Planer, die die Norm und die Grundlagen der Barrierefreiheit verstehen, können ihr Wissen in verschiedenen Projekten weitergeben und selbst für die Anforderungen barrierefreien Bauens sensibel werden. „Es braucht das Gespräch mit Experten und Nutzungserfahrung. Nur die Norm zu kaufen, ist zu wenig.“
Ingenieur Josef Sögner ist Referent für barrierefreies Bauen im Blinden- und Sehbehinderten Verband Österreich und Geschäftsführer von "so orientierungsmanagement".
Wenn Sie Fragen zu Baunormen und umgesetzter Barrierefreiheit haben, setzen Sie sich mit den Referent_innen des BSVÖ in Verbindung!
DI Doris Ossberger:
barrierefrei@blindenverband.at
Telefon: +43 1 982 75 84 – 203
Fax: + 43 1 982 75 84 – 209
Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ)
Hietzinger Kai 85/DG
1130 Wien
oder
Ing. Josef Sögner
Referent für barrierefreies Bauen
josef.soegner@blindenverband.at
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