BSVÖ: Weltfrauentag – Schieflage mit Folgen
Das Ungleichgewicht, das zwischen Männern und Frauen weltweit besteht, wirkt sich auf alle erdenklichen Bereiche aus. Bildung, Jobaussichten, Gehalt sind ebenso in Schieflage wie die Verteilung von Sorgearbeit, Repräsentation in führenden Positionen oder als Entscheidungsträgerinnen. Gezielte Abtreibung führt in vielen Erdteilen zu einer ungleichen Geschlechtsverteilung – wie es etwa in Indien oder China beobachtet werden kann. Kommt zum Faktor der geschlechtsbasierten Diskriminierung auch noch der Faktor Behinderung hinzu, stehen Frauen vor schier unüberwindbaren Barrieren. Ein Augenschein zum Weltfrauentag.
Ein ungesundes Ungleichgewicht
Chancenungleichheit macht krank. Aber nicht nur im übertragenen Sinn: Medizin ist männlich, das haben Studien in den letzten Jahren immer wieder belegt. Erforscht und abgestimmt anhand von Männerdaten sind Behandlungen und auch Diagnosen auch heute noch stark auf männliche Krankheitsbilder konzentriert. Zu einer mitunter folgeschweren Behandlung auf dieser Grundlage kommt das weltweite Phänomen, dass Frauen einen eingeschränkteren Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
Lene Øverland, Vorständin von Orbis Africa hält dazu fest:
Weltweit sind rund 60 % aller Erblindungen und Sehbehinderungen von Frauen getragen – ein Ungleichgewicht, das sich in allen Regionen der Welt widerspiegelt, insbesondere in Asien und Afrika, wo geografische und wirtschaftliche Bedingungen, Analphabetismus, geschlechtsspezifische Rollenverteilung und kulturelle Überzeugungen die Inanspruchnahme augenärztlicher Versorgung erschweren. Der Graue Star ist in diesen Ländern die Hauptursache für Erblindung, wobei die Erfassungsraten bei der Kataraktoperation bei Frauen schlechter sind.
Frauen sind somit häufiger blind oder sehbehindert und haben ein bis zu viermal höheres Risiko als Männer, an einem fortgeschrittenen Trachom, einer ansteckenden Augenkrankheit, zu erkranken. Gleichzeitig ist der Zugang zu medizinischer Versorgung durch verschiedene Barrieren erschwert. Jahrelange und kulturell verhaftete Sorgearbeit spielt hier eine besondere Rolle. So betont etwa Dr Moira Chinthambi, Augenärztin aus Malawi: „Frauen sind diejenigen, die sich um alle anderen kümmern, und wenn sie krank sind, haben sie niemanden, der sie ins Krankenhaus bringt.“
Um auf medizinische Geschlechterungleichheit und geschlechtsbasierte Diskriminierungen zu treffen, ist aber der Blick ins Ausland gar nicht notwendig.
Bis hierher und dann zurück
Auch in Österreich ist Chancengleichheit oft nicht mehr als ein hoffnungsvolles Schlagwort. Was an gesellschaftlichen Ungleichheiten, an ungleicher Verteilung von Ressourcen, Chancen und Repräsentanz für Frauen ohne Behinderung gilt, gilt für Frauen mit Behinderungen in erhöhtem Maß. Mehrfachdiskriminierungen führen zu Doppel- und Dreifachbelastungen, zu mehr Barrieren, mehr Vorurteilen und mehr Übergriffen.
Auch wenn in Österreich mehrere Gesetze dafür sorgen sollen, dass Menschen mit Behinderungen Chancengleichheit erfahren und Frauen gegenüber Männern nicht nachteilig behandelt werden, sieht die Realität nach wie vor anders aus. Bildungswege, die bis an einen gewissen Punkt führen und dann zugunsten familiärer Strukturen abgebrochen werden sind ebenso an der Tagesordnung wie die Auswirkungen struktureller Diskriminierungen, die in psychischen oder auch physischen Gewalterfahrungen enden können. Frauen mit Behinderungen sind hiervon stärker betroffen, als Frauen und natürlich als Männer ohne Behinderungen.
Zusammenstehen
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ) kritisiert Seite an Seite mit Organisationen wie dem Österreichischen Behindertenrat das Ungleichgewicht und die Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Behinderungen und verurteilt Strukturen, die die Aussicht auf Chancengleichheit verstellen. Federführend ist hier das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen zu nennen, das sich regelmäßig trifft und aktiv für Frauen mit Behinderungen einsetzt. Eva-Maria Fink ist Leiterin des Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen (Kontakt: e.fink@behindertenrat.at).
Das EU-Projekt GEAR etwa zielt auf Geschlechtergerechtigkeit und die Stärkung von Frauen mit Behinderungen. Im Rahmen von GEAR führte der BSVÖ erst letztes Jahren auch wieder ein Kommunikationstraining für Frauen mit Kommunikationstrainerin Daniela Zeller durch, das an vier Terminen mehr Selbstvertrauen, gesteigerter Sichtbarkeit und größerer Mitsprache von Frauen mit Behinderungen in den Mittelpunkt rückte. Haben auch Sie Interesse an einer Fortführung des Kommunikationstrainings? Schreiben Sie uns an: internationl@blindenverband.at
Frau in Spitzenposition
Dass die Europäische Blindenunion mit Tytti Matsinen nun eine Präsidentin hat, ist ein positives Beispiel. Die 1987 geborene, sehbehindert Finnin ist die erste Frau an der Spitze der EBU. Dass noch mehr Frauen und auch Mitglieder von Minoritäten gesellschaftlich sichtbar in Führungspositionen rücken sollten, ist eine Grundlage der Forderung nach einer inklusiven Gesellschaft. Denn es geht nicht darum, dass nach und nach ein Ungleichgewicht den Männern gegenüber eingerichtet werden soll; im Gegenteil. Eine inklusive Gesellschaft ist paritätisch – in ihr werden alle Stimmen gehört.
Weiterführend
Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen - Behindertenrat: https://www.behindertenrat.at/kompetenzteam-frauen-mit-behinderungen/
Orbis of Afrika: https://www.orbis.org/en/orbis-africa?geographicregion=www
Sightsavers: https://www.sightsavers.org/disability/women-and-girls/international-womens-day/
BSVÖ Artikel zum Weltfrauentag:
https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/711/Internationaler-Frauentag-2020
BSVÖ: 3 Frauen, 3 Fragen: https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/1763/BSVOe-Drei-Frauen-drei-Fragen-Wie-man-Chancen-ungleich-schmiedet