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Für alle perfekt?

Die Hürden der Barrierefreiheit

Aus der "Der Durchblick"-Reihe:

„Besser für die meisten OK, als für wenige perfekt.“ Als Leiterin des Referats für barrierefreies Bauen erlebt Doris Ossberger, wie Barrierefreiheit in Österreich ausgelegt werden kann. Warum Positionsfindung immer Kompromissarbeit ist, Lifte ganz schön kompliziert werden können und Design nicht Nutzerfreundlichkeit ersetzen darf...

Baut man ein Haus, ohne auf die Regeln der Statik Rücksicht zu nehmen, stehen die Chancen gut, dass eine Wand nachgibt oder der Dachstuhl zusammenfällt. Baut man ein Haus, ohne auf die Barrierefreiheit Acht zu geben, wird das Haus dennoch stehen. Dass sich nicht alle im Haus zurechtfinden werden oder es überhaupt über die Schwelle schaffen, scheint ein Risiko zu sein, mit dem sich einige Planer arrangieren. Eine, die sich seit Jahren dafür einsetzt, dass Räume für alle erschlossen werden, ist DI Doris Ossberger, Leiterin des Referats für barrierefreies Bauen des BSVÖ.

Gerade was die Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Menschen betrifft, sind die Vorgaben nicht so eindeutig und ist eine endgültige Definition nicht in allen Fällen gegeben. Es ist hier noch viel in Entwicklung – was allerdings klar ist, ist das Grundprinzip: „Nichts über uns, ohne uns“, betont Ossberger und verweist somit auch auf eine der wichtigsten Grundlagen überhaupt. Regeln und Richtlinien im Dienste einer Sache zu erstellen, ohne die Sache selbst aus Insidersicht heraus kennen gelernt zu haben, ist ein Projekt, das scheitern muss. Nur indem Personen, die selbst betroffen sind, mitreden können und somit auch ihr Nutzerwissen einbringen können, ist die Möglichkeit gegeben, das Gebiet ganzheitlich zu verstehen.

Expertenwissen muss von innen kommen

„Die interne Positionsfindung und die Erarbeitung von Normen ist immer auch Kompromissarbeit. Aber gerade deswegen ist die Zusammenarbeit der Interessenvertreter unentbehrlich. Gäbe es niemanden, der bestehende Probleme aufzeigt und gleichzeitig fundierte Lösungsvorschläge bringt, so würde auch die Barrierefreiheit nicht weiterkommen.“ 
Doris Ossberger, die selbst BSVÖ-interne Koordinatorin im GMI, dem Gremium für Mobilität und Infrastruktur, und im KMS, dem organisationsübergreifenden Komitee für Mobilität sehbeeinträchtigter Menschen Österreichs ist, kennt die Probleme. Einerseits alle Interessen unter einen Hut zu bekommen und gleichzeitig durchführbare Lösung zu erarbeiten ist ein nicht immer einfacher und vor allem ein langsamer Prozess. Dazu kommt, dass bestehende Normen ebenfalls nicht für immer in Stein gemeißelt sind, sondern in Anpassung an technische Entwicklungen immer wieder überarbeitet werden müssen. Ende nie? Wahrscheinlich. Dennoch ist es die Arbeit der qualifizierten Interessenvertreter, die nicht nur die Diskussion aufrecht hält, sondern auch dafür sorgt, dass Barrierefreiheit nicht übergangen wird.

Die Tendenz zur Digitalisierung sieht Doris Ossberger ambivalent. Einerseits haben Innovationen der letzten Jahre durch universelles Design, schnelle, intuitive Bedienbarkeit und bestmögliche Nutzerfreundlichkeit Spezialgeräte abgelöst und der Nutzergruppe, die gelernt hat, damit umzugehen, einen wichtigen Faktor am Weg zur Selbstständigkeit geliefert. Andererseits gibt es auch Entwicklungen, die der Barrierefreiheit entgegenwirken. Überdigitalisierung, die auf visuelle Steuerelemente baut, ist ein Trend, der scheinbar nicht aufzuhalten ist. Seien es Thermostate, Postabholstationen oder Kaffeeautomaten - Bedienung mittels „Sehen und Berühren“ ist groß in Mode. Wo der Touch-Panel-Hype in den letzten Jahren besonders kritisch beobachtet wurde, ist bei der Steuerung von Aufzügen. Sensorplatten ohne erstastbare Knöpfe fügen sich zwar ins futuristisch minimalistische Design neuer Liftkonstruktionen, für blinde oder sehbeeinträchtigte Nutzer wird die glatte Fläche aber zum Hindernis. Auch die sogenannte Zielrufsteuerung, bei der angegeben werden muss, in welches Stockwerk die Reise gehen soll, um den Lift zu rufen, ist, freundlich formuliert, eine gewisse Herausforderung. „Hier sind nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen betroffen. Auch etwa ältere Leute, die ohnehin nicht mehr gut zu Fuß sind, oder Menschen mit Mehrfachbehinderung werden hier im schlimmsten Fall durch die komplizierte Bedienung davon abgehalten ans Ziel zu gelangen. Da arbeitet man wirklich der generellen Nutzbarkeit entgegen“, meint Doris Ossberger. Selbst Normen für Barrierefreiheit gewährleisten noch lange keine Umsetzung - vor allem nicht, wenn andere Interessengruppen stärker sind. „Erst durch die gesetzliche Verankerung wird eine Norm zur Vorschrift und gerade im Bereich der Barrierefreiheit wird leider vieles nur als gutgemeinter Ratschlag aufgefasst. Obwohl bauliche Barrieren laut Bundesbehindertengleichstellungsgesetz Menschen diskriminieren und man rechtlich an sich dagegen vorgehen kann…“ 

Barrierefreiheit vorplanen, nicht nachrüsten.

Dass man mit dem Behindertengleichstellungsgesetz eine Möglichkeit hat, sich gegen Diskriminierung zu wehren, ist sehr gut und wesentlich. Dass es aber, damit die Wichtigkeit barrierefreien Bauens als real anerkannt wird, Privatpersonen braucht, die aktiv ihr Recht einfordern wenn unter anderem der tägliche Weg zur eigenen Wohnungstür zum Hürdenlauf wird, ist nicht zumutbar. Halblösungen, wo nach einigem Intervenieren dann doch barrierefrei nachgerüstet wird, sieht Doris Ossberger kritisch. „Selbst wenn individuelle Lösungen gefunden werden, bedeutet das nicht, dass die Bedürfnisse anderer Nutzer auch damit gedeckt sind. Das eigentliche Ziel muss es  sein, dass schon von vornherein an einen größtmöglichen Nutzerkreis gedacht und entsprechend geplant wird.“

Auf die Frage nach Etappenzielen gäbe es viele Antworten. Eine davon lautet wohl: die Verankerung von sinnvollen Mindestanforderungen und richtigen Kriterien in Gesetzen auf Europaebene. So reicht es etwa nicht, die minimale Innengröße einer Aufzugs-Kabine festzulegen. Es muss auch dafür gesorgt sein, dass die Bedienelemente bedienbar bleiben und dass technische Entwicklungen, seien sie auch noch so spannend und elegant, nutzerfreundlich ausfallen.

Und auch wenn der Weg zu neuen Normen ein langer und aufwendiger ist, darf nicht außer Acht gelassen werden, was schon passiert ist. Auch steigt die Sensibilisierung bei den Umsetzenden, was Doris Ossberger als grundlegend erachtet. „Es ist auch unsere Aufgabe, im Rahmen der Projektberatung Bewusstseinsbildung zu betreiben. Oft scheitert die Barrierefreiheit einfach nur an mangelndem Wissen darüber, was und wie viel davon von verschiedenen Personengruppen wirklich gebraucht wird, um etwas gut nutzen zu können. Das aufmerksame Beschäftigen mit der Materie und das Gespräch mit Personen und Organisationen, die aus eigener Erfahrung heraus darüber Auskunft geben können, ist und bleibt unersetzbar.“ 

 

Doris Ossberger „Irrwege, Stolpersteine und wie man Wege ebnen kann - Barrierefreies Bauen für blinde und sehbehinderte Menschen“

Gratis Auftaktveranstaltung am 28. Februar 2018.

Beginn: 16:30 Uhr
Ende: voraussichtlich 18:00 Uhr
Ort: Hietzinger Kai 85 / Erdgeschoß, 1130 Wien

 

Haben Sie Fragen zur Barrierefreiheit oder planen Sie ein Projekt, bei dem Sie Unterstützung auf diesem Gebiet und Fachwissen einholen wollen?

Kontakt

DI Doris Ossberger
Referentin für barrierefreies Bauen

E-Mail
Telefon: +43 1 982 75 84 – 203
Fax: + 43 1 982 75 84 – 209
Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ)
Hietzinger Kai 85/DG
1130 Wien

 

Hier geht's zur Gesamtausgabe des Verbandsmagazines "Der Durchblick" 2. Halbjahr 2017

Der Durchblick 2/2017
 

Haben Sie Themenvorschläge zu denen Sie Sie gerne mehr im 2. Halbjahr 2018 lesen würden? Über Anregungen, Ideen und Hinweise freut sich Chefredakteurin Dr. Iris Gassenbauer (Tel.: +43 1 982 75 84-202)

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