BSVÖ - Barrierefreie Kunst III: Wenn berühren erlaubt ist
Wenn berühren erlaubt ist © BSVÖ
Logo des BSVÖ, Grafik eines Ausstellungsraumes mit vielen verschiedenen Besucher:innen
Kunst ist für alle da. Letzte Woche haben wir erfahren, warum ein Bild ruhig mit tausend Worten beschrieben werden kann und wie die Vermittlung barrierefreier Inhalt in Museen zum Gelingen des inklusiven Besuchs werden kann. Unter dem Schlagwort: Mehrsinneprinzip fällt aber noch eine weitere wichtige Strategie der barrierefreien Kunstvermittlung. Jetzt kommen die Hände ins Spiel!
Hand auflegen
„Das erste Mal, als ich ein Bild ertastet habe, habe ich mir noch nicht viel darunter vorstellen können“, erinnert sich Günther, für den bei jeder Reise ein Museumsbesuch am Programm steht. „Man muss sich selbst erst daran gewöhnen und Zeit nehmen. Dann aber kann das Bild über die Hände direkt im Kopf entstehen!“ Günther hat mit seiner Familie schon Museen auf der ganzen Welt besucht und nicht immer hat sich der Trip als lohnen herausgestellt. Eine besondere Erinnerung hat er an den Louvre in Paris. „Dort habe ich im Zuge einer Führung über die Geschichte und die Architektur des Museums sehr viel lernen können. Es gab verschiedene Tastobjekte, die mich die Entwicklung des Baus über die Jahrhunderte hinweg im wahrsten Sinne des Wortes begreifen ließen.“
Visuelles tastbar machen
Neben der Möglichkeit, bildende Kunst durch Beschreibungen zu erschließen, können also auch andere Sinne angesprochen werden. So kann selbst bei eindimensionalen Kunstwerken – mit entsprechender Aufbereitung – das Ertasten zum Schlüssel des Erkennens führen!
Tastbilder und Tastrefliefs bilden visuelle Inhalte mehrdimensional ab und erlauben es so blinden und stark sehbehinderten Menschen, das Kunstwerk durch ihre Fingerspitzen zu erfahren. Da die Erstellung von Tastbildern aber mit einem ungleich größeren Aufwand verbunden ist, als die Erschließung durch auditive Beschreibung, ist macht diese Variante nur einen sehr kleinen Bestandteil der barrierefreien Kunstvermittlung aus.
Im Rahmen des vom Programm ERASMUS+ der Europäischen Kommission geförderten Projekts AMBAVis, in das auch der BSVÖ involviert war, wurden bereits bestehende Technologien evaluiert als auch neue entwickelt, die sich zur Herstellung von taktilen und dreidimensionalen Museumsobjekten für blinde und sehbeeinträchtige Menschen eignen. 3D-Repliken, virtuelle haptische Modelle, Reliefdrucke und Finger-trackig-Prototypen mit positionsspezifischen Audio-Kommentaren, wie sie im Zuge des Projekts evaluiert wurden, sind Schlüssel der barrierefreien Kunstvermittlung und können Museen als Orte informellen Lernens auch für blinde und sehbehinderte Menschen attraktiv machen.
Ein goldener Kuss für alle
Aus einem Wienbesuch sind die bunten Jahrhundertewendebilder von Gustav Klimt kaum wegzudenken. Eines seiner Hauptwerke (Der Kuss) ist Publikumsmagnet im Oberen Belvedere und fasziniert seit seiner Entstehung durch seine bunte Farbgebung und den abstrakten und innigen Moment des Kusses. Berühren ausdrücklich erwünscht, heißt es deswegen bei allen Anders Sehen-Führungen für blinde und sehbeeinträchtige Besucher, die in regelmäßigen Intervallen im Belvedere stattfinden. Ergänzend zum taktilen Erlebnis eröffnen auditive Beschreibungen zu den Künstlern, ihrer Arbeitsweise und den Objekten ein vollkommen neues Erleben der Gemälde und Skulpturen im Belvedere. Das Tastbild zu Gustav Klimts berühmtem Gemälde Kuss wurde im Rahmen des EU-Projekts AMBAVis hergestellt. Die computergestützt angefertigte Reliefdarstellung machte erstmals viele kompositorische und ornamentale Details pixelgenau fühlbar. Mag. Brigitte Hauptner und Mag. Susa Wögerbauer hielten im Gespräch mit dem Verbandsmagazin des BSVÖ „Der Durchblick" die Anfangsschritte in den frühen 2000er Jahren fest, als barrierefreie Kunstvermittlung noch nicht automatisch mitgedacht wurde, wenn von „bildender Kunst“ die Rede war. Das Wissen um barrierefreie Kommunikation und inklusive Medienvermittlung eigneten sich Hauptner und Wögerbauer eigenständig und mit viel Aufmerksamkeit an. Lehrgänge und Projekte, damals noch zu barrierefreien Stadtführungen, rundeten die Beschäftigung mit den Möglichkeiten ab, die Hauptinitiativen wurden aber auf die Arbeit im Belvedere fokussiert. 2006 war das Inkrafttreten des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes ein weiterer Anschub, Maßnahmen der Barrierefreiheit zu forcieren.
Neben dem spürbaren Vakuum auf dem Gebiet barrierefreier Kunstvermittlung war die Arbeit an der Thematik auch immer mit der Akzeptanz einer ständigen Herausforderung verbunden, erinnern sich die beiden Kunstvermittlerinnen. Schließlich handelt es sich um einen Bereich, in dem das persönliche Dazulernen nicht aufhört. Der unmittelbare Austausch mit Expert:innen, das gemeinsame Entwickeln von Projekten, das Austesten der Möglichkeiten – alles lief auf ein Besserwerden durch den Weg des permanenten Learning-by-Doing und der gemeinsamen Kommunikation hinaus.
Auf Kosten der Barrierefreiheit
Museen sind Stätten, die das kulturellen Erbe bewahren und verschiedenste künstlerische Ausdrucksformen einem Publikum zugänglich machen. In der Funktion der Vermittlung und Erhaltung von Kunst und Kultur haben sie große gesellschaftliche Relevanz – nur leider nicht immer die benötigten Mittel. Ein Aspekt, an dem schnell gespart wird, ist die Barrierefreiheit. So betont auch Sabine Fauland vom Museumsbund Österreich, dass eine Mehrheit der rund 800 österreichischen Museen ehrenamtlich betrieben werde. Unter diesen Voraussetzung Barrierefreiheit umfänglich umzusetzen, ist meist nicht möglich. Aber auch in größeren Museen und jenen, die auf mehr Mittel zurückgreifen können, bleibt Barrierefreiheit mitunter nachgereiht. Der blinde Museumsfreund Günther erklärt es sich so: „Viele Entscheidungsträger:innen verstehen nicht, wieso blinde und sehbehinderte Menschen in Ausstellungen von bildender Kunst gehen wollen. Dabei besteht der Bedarf. Aber je weniger barrierefreie Angebote vorhanden sind, desto weniger Leute werden kommen. Und je weniger Leute kommen, desto leichter tut man sich dabei zu sagen: ‚Das interessiert die Betroffenen eh nicht!‘ Das ist ein richtiger Teufelskreis.“
Weiterführend
Leidmedien.de: Kunst für alle - Barrierefreiheit im Museum - Leidmedien.de