Formular für Anfragen

Newsletter Anmeldung

BSVÖ: Bilanz der Taskforce des Bundeskriminalamts gegen Sozialleistungsbetrug – großer Schaden für jene, die es benötigen

  • Sozialleistungsbetrug © BSVÖ

In Österreich finden nicht alle ausgezahlten Sozialleistungen auch wirklich zu Menschen, die den Bezug verdienen. Seit der Gründung der Taskforce des Bundeskriminalamts gegen Sozialleistungsbetrug (SOLBE) 2018 wurden Fälle von knapp 89 Millionen Euro erschlichener Leistungen aufgedeckt. Besonders bitter: Jeder Euro, der nicht an jene geht, die ihn benötigen, fehlt im System.

In einer Pressekonferenz am 9.8.2023 haben Innenminister Gerhard Karner und Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) Bilanz über das erste Halbjahr 2023 gezogen. Und die sieht nicht gut aus.

Mehr Kontrolle

Die Sonderkommission, bestehend aus Finanz- und Kriminalpolizei, hat Fälle mit einem Schaden von 14 Millionen Euro aufgeklärt. Das sei, so betont Innenminister Karner beinahe so viel wie im gesamten Jahr 2022. Der Grund für diesen Anstieg aber liege nicht in erster Linie daran, dass mehr Gelder ausgezahlt werden oder mehr Betrüger:innen am Werk sind. Nein, es sei der Kontrolldruck erhöht worden, sprich: mehr Kontrollen, mehr aufgedeckte Delikte. Allein im ersten Halbjahr sind rund 2200 Fälle erhoben worden, ein Plus von 28%.
„Geld, das illegal erschlichen wurde, fehlt uns für sinnvolle Projekte“, betont Finanzminister Brunner – eine Meinung, die auch der Präsident des BSVÖ, Dr. Markus Wolf teilt:

„Jeder Euro, der nicht an diejenigen Menschen ausgezahlt wird, die aufgrund ihrer Behinderungen auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind, fehlt. Wenn Gelder an Menschen fließen, die sich Leistungen erschleichen, die ihnen nicht zustehen, ist das aufs Schärfste zu verurteilen. Sozialleistungen sind kein Spiel und kein Luxus. Sie sind bitter notwendig, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben leben zu können.“

Task Force gegen Betrüger:innen

Die Task Force Sozialleistungsbetrug (SOLBE) wurde 2018 im Bundeskriminalamt aufgrund jährlich zunehmender Fallzahlen eingerichtet, um „nachhaltig und effizient bundesweit gegen das Phänomen vorzugehen.“ Seit Bestehen der Taskforce wurde eine Gesamtschadensumme von knapp 89 Millionen Euro ermittelt.

Sieben Hauptkategorien der Modi Operandi werden auf der Webseite des Innenministeriums genannt. „Diese umfassen etwa die Erschleichung der Mindestsicherung trotz ausreichendem Vermögen, den Missbrauch von Pensionsleistungen durch die Vortäuschung eines Scheinwohnsitzes oder den widerrechtlichen Erhalt der Familienbeihilfe sowie verbotene Auslandsaufenthalte bei gleichzeitigem Bezug von Sozialleistungen und die Erschleichung der Grundversorgung mittels falscher Identitäten.“

Der häufigste Fall des Missbrauchs, so Innenminister Karner in der Konferenz, bestehe darin, dass Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe bezogen wird, obwohl es Einkünfte gäbe. Auch widerrechtlicher Bezug von Kinderbeihilfe falle in die Bilanz.

Unglaubwürdige Zahlen

Im Zuge der Konferenz nannte Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt aber auch den Fall eines Mannes, der über sechs Jahre eine „massive Sehbehinderung“ vorgetäuscht habe. Er hätte dadurch einen enormen Schaden angerichtet. Damit verbunden sei ein „Behindertenpass mit allen Vorteilen, Parkausweise und so weiter und auch Steuerliche Vorteile. Alles zusammen konnte sich der Mann über 900.000 Euro erschleichen.“

Wie genau diese Zahl zustande kommt, legt Tatzgern nicht dar – ein Umstand, der den BSVÖ stutzig macht. Denn wer selbst auf Sozialleistungen angewiesen ist, weil eine Sehbehinderung oder sogar Blindheit bestehe, weiß: diese Summe ist illusorisch.

Auch bei großzügiger Berechnung von Pflegegeld, Mobilitätszuschüssen, Kfz-Steuer etc. kann bei weitem nicht nachvollzogen werden, wie die angeblich erbrachten Leistungen jene Summe ergeben sollen. Auch bleibt fragwürdig, ob sich der genannte „Schaden“ nur auf die tatsächlichen Leistungen bezieht, oder auch andere Faktoren mit einberechnet werden.

Ungenaue Berichterstattung

Online berichtet die Kronenzeitung über den Fall und titelt mit „Falscher „Blinder“ erschlich sich 900.000 Euro“ In den Bericht eingebettet ist ein Video der Pressekonferenz, in dem Gerhard Tatzgern eindeutig von 6 Jahren spricht, über die der Schaden entstanden sein soll. Vergil Siegl, Autor des Artikels, verkürzt die Spanne effektvoll auf 5 Jahre. Aber auch ohne diesen Fehler bleibt aufgrund der Überschrift in Verbindung mit den angeblichen Zahlen ein sehr fragwürdiges Bild bestehen: es wird der Eindruck vermittelt, man könne sich durch die Erschleichung von Sozialleistungen ein Leben mit überdurchschnittlichem Einkommen machen.

Millionär:innen voraus?

So könnte geschlussfolgert werden: Menschen mit Behinderungen müssen bei der derzeitigen Lage über einen Geldspeicher in Ausmaßen eines Dagobert Ducks verfügen. Wer aber selbst in der Situation ist, Sozialleistungen aufgrund von Behinderungen empfangen zu müssen, weiß, dass dies absolut nicht der Fall ist, dass Leistungen von Bundesland zu Bundesland variieren und dass ein selbstbestimmtes Leben aufgrund bestehender Barrieren, Chancenungleichheit am Arbeitsmarkt, fehlender Bildungsoptionen und Ausbildungsressourcen und täglicher Diskriminierungen nicht durchgehend möglich ist.

Immerhin ein Lichtblick zum Schluss: Die Aufklärungsquote von Sozialleistungsdelikten beträgt 99,5%.

Faktencheck

  • Der BSVÖ verurteilt jede Form des Sozialbetrugs auf das Schärfste. Hierbei werden Gelder erschlichen, die für jene Mitglieder der Bevölkerung vorgesehen sind, die auf Unterstützung angewiesen sind, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können.
  • Sozialleistungen sind für Menschen mit Behinderungen notwendig und kein Luxus!
  • Der BSVÖ kann die vom Innenministerium genannte Zahl an erschlichenen Geldern im Falle des genannten Betrügers in keiner Weise nachvollziehen.
  • Der BSVÖ warnt vor ungenauer Berichterstattung der Medien, da sie der Öffentlichkeit ein falsches Bild der tatsächlichen Umstände vermitteln.
  • Sozialleistungen sind in Österreich nicht bundesweit harmonisiert und reichen oft nicht aus, um alle anfallenden Kosten für ein selbstbestimmtes Leben decken zu können.
  • Menschen mit Behinderungen, so auch blinde und sehbehinderte Menschen, haben im Alltag mit Barrieren und Diskriminierungen zu tun, die selbstständige sichere Mobilität, eine selbstbestimmte Teilhabe oder den barrierefreien Zugang zu Informationen auf vielen Ebenen erschweren oder unmöglich machen.
  • Menschen mit Behinderungen sind in höherem Ausmaß von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betroffen und stehen vor schlechteren Bildungschancen.
  • Menschen mit Behinderungen sind in höherem Ausmaß von Armutsgefährdung und Armut betroffen, als Menschen ohne Behinderungen.

Weiterführende Links

Webseite des Bundeskriminalamts: https://bundeskriminalamt.at/310/start.aspx

Presseaussendung Webseite des Innenministeriums: https://www.bmf.gv.at/presse/pressemeldungen/2023/august/brunner-karner-sozialleistungsbetrug.html

 

 

 

zurück