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Über Barrierenvielfalt und lange Vorlaufzeiten. Der BSVÖ zu Gast bei Ö1

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Am Donnerstag, 22.6.2023 waren Markus Wolf, Präsident des BSVÖ und Daniela Rammel, stellvertretende Vorsitzende des Monitoringausschusses zu Gast im Ö1 Format Punkt Eins, moderiert von Marina Wetzlmaier. Wo Österreich in Sachen Inklusion Rückschritte gemacht hat und warum es auch Lösungen gibt, die für alle passen können, lesen Sie hier nach!

 

Inklusive Bildung am Holzweg

Erst am Montag war der Sonderbericht des Monitoringausschusses zum Thema Bildung präsentiert worden. Darin unmissverständlich: Österreich ist in Sachen inklusiver Bildung nicht auf zukunftweisend unterwegs, sondern machte, ganz im Gegenteil, Schritte zurück. inklusive Modellregionen wie sie in den Bundesländern Tirol, Kärnten und der Steiermark schon existiert hatten, wurden 2019 stillgelegt und nicht fortgeführt. Und auch die Investition von Mitteln fördert nicht das Voranbringen inklusiver Modelle. „Sonderschulen werden gebaut und renoviert, für inklusive Bildung wird kaum Geld in die Hand genommen“, hielt Daniela Rammel dazu fest.

Die Schaffung inklusiver Bildungssysteme ist im Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention geregelt, dennoch wird dieser Artikel in Österreich nicht ausreichend umgesetzt. Die „Inklusionslücke Bildung“ bleibe, so Rammel, weiterhin bestehen.

Barrierefreiheitsgesetz neu und besser?

Wie weit neue Gesetze auch die Barrierefreiheit fördern können, wird sich mit der Implementierung des neuen Barrierefreiheitsgesetzes (Link:  2046 d.B.) zeigen. Am 28.6. 2023 gab der Sozialausschuss des Nationalrats einstimmig grünes Licht für den von der Regierung vorgelegten Entwurf. Ein wichtiger Schritt, wie Markus Wolf betont, denn: „In den Behindertenrechtsorganisationen tut sich viel, gerade im Bezug auf die umfangreichen Aktivitäten. Politisch aber wird das Thema Barrierefreiheit dann doch vernachlässigt. Die Kritik an der Umsetzung der Gesetzeslage ist sehr scharf.“

Eine Artikulation der vorhandenen Barrieren, wie sie den Behindertenrechtsorganisationen, die zu einem großen Teil unter dem Dachverband des Österreichischen Behindertenrats versammelt sind, ist leider nach wie vor notwendig und Teil des Tagesgeschäftes.

Markus Wolf äußerste sich dazu folgendermaßen: „Wir tragen unsere Botschaften ständig und bei jeder Gelegenheit in die Öffentlichkeit, die tatsächliche Umsetzung ist eine andere Sache. Wir setzen uns täglich ein für den Abbau von Barrieren, aber diese muss man auf vielen Ebenen abbauen. Eine Barriere ist auch nicht nur eine physische Barriere. Sie sind überall dort vorhanden, wo Chancengleichheit nicht existiert. Das heißt, wenn man schaut, wo Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, aber nicht im selben Ausmaß wie Menschen ohne Behinderungen, kann man davon ausgehen, dass es Barrieren gibt.“

Die Umsetzung des Abbaus sei vor allem deswegen so komplex, weil es dafür neben dem Bewusstsein in der Bevölkerung und unter den Entscheidungsträger:innen auch das politische Commitment und die gesetzlichen Rahmenbedingungen brauche. Das neue Gesetz würde nun zwar positive Neuerungen und strengere Regeln bringen, Daniela Rammel zeigte sich aber dennoch skeptisch: „Es ist wichtig, dass es das nun gibt, aber die Umsetzungsfristen sind viel zu lange. Es sind auch nicht alle Bereiche eingeschlossen. Es geht um Bereiche der Kommunikation, aber es fehlt die bauliche Barrierefreiheit, der Verkehr, Wohnen. Umfassend ist es nicht.“

Bis zum 28.6.2025 haben die Anbietenden nun Zeit, in den geregelten Bereichen Barrierefreiheit umzusetzen. Lücken und Schlupflöcher aber würden wieder garantieren, dass flächendeckende Barrierefreiheit nicht erreicht werden kann.

Stadt-Land-Gefälle und die Probleme des Föderalismus

Auf die Frage einer Hörerin per Mail, ob es zwischen Bund und Land verschiedene Kompetenzen gäbe und Unterschiede bei der Umsetzung erkennbar wären, musste mit einem klaren „Ja“ geantwortet werden.

Daniela Rammel brachte auch hier das Grundproblem der Bildungslücke: „Am Land ist es mit der Inklusion immer schwieriger, etwa mit der inklusiven Schule. Es fehlen die Angebote und Möglichkeiten, deswegen ist Stadt-Land-Gefälle ein Problem.“

Auch Markus Wolf betonte die Problematik der Zuständigkeitsverteilung: „Der Föderalismus macht es nicht leichter. Wir haben spendenbasierte Landesorganisationen in allen Bundesländern und sehen oft, dass Förderungen, die benötigt werden, um Probleme zu lösen, in manchen Bundesländern vorhanden sind, in anderen nicht. Frühforderung etwa für Kleinkinder mit Sehbehinderungen, die dazu beitragen, dass etwa der Einstieg ins Schulsystem vorbereitet wird ist so ein Fall. Diese Frühförderung ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Das bedeutet, dass Kinder in verschiedenen Bundesländern mit unterschiedlichen Chancen ins Leben starten. So geht es in vielen Bereichen. Es gibt aber auch Bereiche, die einheitlicher geregelt sind, etwa die berufliche Integration.“

Barrierefrei überall unterwegs sein

Barrierefreiheit gilt nicht nur im baulichen Bereich, sondern natürlich auch im digitalen. Die Frage von Moderatorin und Sendungsgestalterin Marina Wetzlmaier „Wie sollte eine Webseite gestaltet sein, damit sie barrierefrei ist?“, ließe sich, so Markus Wolf, mit einem Verweis auf bestehende Normen beantworten.

„Dafür gibt es klar definierte Kriterien, die WCAG (Anmerkung: „Web Content Accessibility Guidelines“ sind das zentrale internationale Regelwerk für digitale Barrierefreiheit), auf die ich jetzt nicht eingehen werde. Aber kurz gesagt: eine Webseite sollte einen guten Kontrast haben aber auch die Möglichkeit, die Hintergrundfarbe und Schrift verändern zu können. Nicht jede Person mit Sehbehinderung hat das selbe Problem. Manche sind mehr blendeempfindlich und brauchen einen dunklen Hintergrund, andere ziehen es umgekehrt vor. Wichtig ist, dass Webseiten gut navigierbar sind. Meistens arbeiten wir mit Screenreadern, einem Programm, das das Ansteuern von Bildschirmen ermöglicht und mit einer Braillezeile oder mit einer akustischen Wiedergabe. Da ist es wichtig, dass Überschriften definiert sind, die Buttons gut auffindbar sind und dass Eingabefelder erkennbar sind. Diese Kriterien sind alle gut abrufbar. Hierzu gibt es gute Informationen und Normen, auf die man sich weltweit geeinigt hat. Diese sind von den Verbänden zu bekommen. Wenn jemand eine Webseite neu gestalten möchte und sich hier nicht auskennt: auch da sind die Behindertenverbände behilflich.“

Lösungsansätze

Die Zusammenarbeit der Verbände und das Einbringen von Expertise als zielführende Strategie wird schon seit langer Zeit verfolgt. Dennoch werde diese Expertise zwar oft angehört, dann aber nicht umgesetzt. Dabei gibt es, so Markus Wolf, genügend Lösungsansätze, die für alle passen würden: „Eine gute Lösung hat man in der Regel dann, wenn etwas mit mindestens zwei Sinnen erfasst werden kann. Wenn eine visuelle Information nur visuell verfügbar ist, dann ist sie sicher nicht barrierefrei. Wenn sie aber sowohl visuell als auch akustisch oder in taktiler Form vorhanden ist, dann kann man davon ausgehen, hier schon auf dem richtigen Weg zu sein. Zum Beispiel eine Ampel: Für Sie ist die Ampel an den Farben zu erkennen, für mich an den Taktgeräuschen der akustischen Ampel. Solche Lösungen brauchen wir und da arbeiten auch die Verbände gut zusammen.“

Daniela Rammel ergänzte hierzu: „Die Wiener Linien haben beim Türschließen ein visuelles und auch akustisches Signal. Es ist wichtig, anzusagen, welche Straßenbahn in eine Haltestelle einfährt, wenn dort mehrere Linien halten, damit auch blinde und sehbehinderte Menschen richtig einsteigen können. Für gehörlose Personen gilt: Informationen immer auch schriftlich darstellen.“

In einem Mail berichtete der Hörer Herr Friedrich davon, Barrieren zum ersten Mal erkannt zu haben, als er vor drei Jahren mit seiner Tochter im Kinderwagen in der Stadt unterwegs war: „Die durchgehende Umsetzung von Barrierefreiheit bedeutet einen Gewinn für die gesamte Bevölkerung. Ich habe bemerkt, wie viele Geschäfte durch Stufen oder Türen nicht oder nur erschwert zugänglich sind. Zusätzlich habe ich mich gewundert, dass es sich dabei teilweise auch um neueröffnete Geschäfte handelt und dass soetwas im Jahr 2020 noch genehmigt werden darf…“

Daniela Rammel griff das Thema des gesamtheitlichen Nutzens von Barrierefreiheit auf: „Das ist ein super Statement, denn Barrierefreiheit ist für alle Menschen komfortabel – für 40% notwendig, für 100% komfortabel.“

Weiterführende Links

Sendungswebseite Ö1 Punkt Eins: „Barrierefrei?“ mit Downloadoption: https://oe1.orf.at/programm/20230622/723000/Barrierefrei?fbclid=IwAR0DX_i5vmYtKAJ66yN_hAG5IyamDsOysxyChRnkysZg9r-Urw_XMRDAIms

Parlamentskorrespondenz Barrierefreiheitsgesetz neu vom 28.6.2023: https://www.parlament.gv.at/aktuelles/pk/jahr_2023/pk0751

Webseite Monitoringausschuss: https://www.monitoringausschuss.at/

 

 

 

 

 

 

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