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Unser aller gutes Recht: Kompetenzstelle für Barrierefreiheit des BSVÖ über Barriefreiheit, Bauwesen und Klopapier

"Der Durchblick"-Auskoppelung im Fokus

  • Der Durchblick Auskoppelung © BSVÖ

Warum es DI Doris Ossberger die Haare aufstellt, wenn sie Aussagen hört wie: „Es gibt so viele verschiedene Vorschriften und Interessen, die schränken uns eh schon so in unserer Kreativität ein – wir können es doch wirklich nicht allen recht machen!", verriet sie im Verbandsmagazin "Der Durchblick". Lesen Sie jetzt nach, was das alles mit der Bauwirtschaft zu tun hat und weshalb Barrierefreiheit nicht am WC endet!

„Und jetzt kommen die schon wieder mit ihrer Barrierefreiheit daher“, hört man es allerorts stöhnen, „wo es doch eh so viel gibt, was man beachten muss.“ Jaja, immer diese besonderen Bedürfnisse …

Während ich das hier schreibe, bereite ich mich gedanklich auf eine Podiumsdiskussion im Normungsinstitut vor. Vielleicht wird es meine letzte Gelegenheit sein, mich in so einem Rahmen als Expertin für Barrierefreiheit zu äußern. Vielleicht wird es auch noch viele andere Gelegenheiten geben, wer weiß das schon so genau. Wie auch immer, es kann nicht schaden, etwas einigermaßen Vernünftiges von sich zu geben. Zum Einstieg sollen alle Diskussionteilnehmer:innen eine Frage beantworten: „Allen Recht getan: Eine Kunst, die beim barrierefreien Bauen gelingen kann?“

Zugzwang

Wer sich für Barrierefreiheit einsetzt, ist andauernd gezwungen, das zu rechtfertigen und zu verteidigen. Das Praktische daran ist, dass man die Argumente dafür und auch so ziemlich alles, was üblicherweise entgegnet wird, ziemlich genau kennt. Jetzt ist es also wieder soweit, ich darf in der Argumentekiste kramen und schauen, was den unterschwelligen Vorwurf, von der armen Bauwirtschaft zu viel zu verlangen, in der aktuelle Fragestellung am ehesten aushebeln könnte.

Die alte Leier

„Es gibt so viele verschiedene Vorschriften und Interessen, die schränken uns eh schon so in unserer Kreativität ein – wir können es doch wirklich nicht allen recht machen“, höre ich die unzähligen Stimmen, die die Bürde der Barrierefreiheit beklagen, in meinem geistigen Ohr widerhallen. Und es stellt mir die Haare auf. Es stimmt, man kann es nicht allen recht machen. Individuelle Bedürfnisse und Vorlieben sind verschieden, man wird nie auf alle gleichzeitig gleich gut eingehen können. Von extravaganten Sonderwünschen gar nicht zu sprechen. Man kann auch nicht immer mit allen einer Meinung sein und von allen heiß geliebt werden. So ist nun mal das Leben, da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Aber: Barrierefreiheit hat mit all dem überhaupt nichts zu tun.

„Recht“ ist ein gutes Stichwort …

… nur halt in einem ganz anderen Sinn, als die Eingangsfrage wohl gemeint ist. Wir alle haben nämlich ein Recht darauf, Dinge selbständig und selbstbestimmt zu tun, also ohne auf fremde Hilfe zurückgreifen zu müssen oder uns durch andere Menschen oder Umgebungsbedingungen bevormunden zu lassen. Menschen, die keine Behinderung haben, hinterfragen das meistens gar nicht, weil es so selbstverständlich ist. Wäre es einmal nicht so, würden sie ungebremst auf die Barrikaden steigen. Damit es für Menschen mit Behinderungen auch so selbstverständlich werden kann, ist Barrierefreiheit ganz, ganz wichtig. So wichtig, dass die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgibt, dass vom Staat alles getan werden muss, um Barrierefreiheit in allen Bereichen umzusetzen, damit Gleichberechtigung stattfinden kann.

Von wegen “nice to have”

Zwischen „es allen recht machen“ und „allen ihr Recht ermöglichen“ gibt es einen wesentlichen Unterschied. Schauen wir uns doch einmal ein Beispiel an, das beim Stichwort „Barrierefreiheit“ immer noch unter den Top 3 der klassischen Assoziationen ist: das Klo. Stellen wir uns also ein öffentliches WC vor – denn das eigene kann sich natürlich jeder und jede nach den urpersönlichsten Vorlieben gestalten ohne auf irgendjemand anderen Rücksicht zu nehmen. Damit es nicht den Rahmen sprengt, widmen wir uns nur der Klopapierrolle und der dazugehörigen Halterung. Was müsste man also bedenken, um es allen recht zu machen? Ich traue mir nicht zu, hier eine vollständige Liste zu kreieren, aber wenn man Klopapier in fünf verschiedenen Duftrichtungen, zehn verschiedenen Designs und mindestens drei Flauschigkeitsgraden jeweils auf vier Rollenhalter-Typen in zwei verschiedene Richtungen aufhängt, ist man mit Sicherheit auf keinem schlechten Weg. Sie denken, das ist hässlich, viel zu teuer und sowieso absurd zu fordern? Ja, das ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Um dasselbe Element barrierefrei zu gestalten, braucht es nicht annähernd so viel: man nehme eine Halterung, deren Bedienung weder einen Universitätsabschluss noch akrobatische Fingerfertigkeiten voraussetzt, befestige sie stabil in einem Bereich, der auf der WC- Schale sitzend gut erreichbar ist, und bestücke ihn mit einer Klopapierrolle durchschnittlichen Härtegrades, die sich abrollen, aber auch ohne allzu großen Kraftaufwand abreißen lässt. Und voilá: Alle WC-Besucher:innen werden tun können, was man mit Klopapier eben so zu tun pflegt und glücklich ihrer Wege gehen.

Sowas von berechtigt

Und was schließen wir daraus, wenn es um die Eingangsfrage geht? Kann es uns mit Barrierefreiheit gelingen, es allen recht zu machen? Mit Sicherheit nicht – aber wer oder was kann das schon? Was aber in Wirklichkeit zählt: Wir brauchen Barrierefreiheit, damit alle zu ihrem Recht kommen, und zwar dem auf ein selbständiges, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben. Grundrechte – nicht mehr und nicht weniger. Und dafür, die einzufordern, sollte man sich nicht verteidigen müssen.

Der Text erschien in "Der Durchblick" 2. Halbjahr 2022

Mehr Lesestoff

Sie möchten noch mehr schmökern? Unter diesem Link gelangen Sie zur Gesamtausgabe des Verbandmagazins "Der Durchblick" des 2. Halbjahres 2022: https://www.blindenverband.at/de/information/durchblick/archiv/1703/Der-Durchblick-2022

Es steht Ihnen der Download als PDF, als Rohtext und auch als Audiofile (MP3) zur Verfügung!

Wenn Sie das Verbandsmagazin abonnieren möchten, so schreiben Sie bitte an: pr@blindenverband.at und lassen Sie uns wissen, in welcher Form (Schwarzdruck, Braille, DAISY) Sie es gerne nach Hause geschickt bekommen würden!

Viel Spaß beim Lesen!

 

 

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