BSVÖ Mehrsinne Mittwoch - Barrierefreie Veranstaltungen: Wenn Treffen wieder greifbar wird
Logo Mehrsinne Mittwoch © BSVÖ
Logo des BSVÖ, daneben der Schriftzug Mehrsinne Mittwoch, unterlegt von einer mintgrünen Fläche
Der Frühling ist da und mit ihm die Hoffnung, dass wir außerhalb der eigenen vier Wände auch etwas anderem als Viren begegnen könnten. Oder womöglich sogar jemand anderem. Das lassen sich auch Veranstalter:innen diverser Veranstaltungen nicht zweimal sagen und veranstalten munter drauflos. Uns gibt das einen willkommenen Anlass, um den Mehrsinne Mittwoch der Frage zu widmen, was wir in puncto Barrierefreiheit gerne beachtet wüssten.
Wenn Sie jetzt kurz davor sind, den Artikel weg zu legen, weil Ihnen schwant, dass das endlos werden könnte, haben wir zweit gute Nachrichten für Sie: Erstens werden wir uns nicht mit Klassikern wie Rampen, Türbreiten oder barrierefreien WCs befassen. Die sind zwar ausgesprochen wichtig, erscheinen aber sowieso vor dem geistigen Auge all jener, denen der Begriff „Barrierefreiheit“ schon irgendwann irgendwo untergekommen ist. Zweitens haben wir ganz Vieles schon ausgelagert. Fast alles, das Sie am Digitalen Dienstag im April zum Thema virtuelle Meetings lesen konnten, gilt sinngemäß für „echte“ Treffen genauso. Kurzum, was uns heute interessiert, sind Aspekte, die nicht schon genügend kluge Köpfe in zahlreichen wertvollen Broschüren festgehalten haben. Wer weiß, vielleicht brauchen wir sogar genau Sie und Ihren klugen Kopf, um überhaupt erst herauszufinden, worauf es wirklich ankommt. Aber dazu später.
Zuerst ein paar Basics
Ja, ich weiß, gerade habe ich Ihnen versprochen, dass wir auf schon mehrfach Durchgekautes heute pfeifen. Eine kleine Einleitung kann aber doch nicht schaden, oder? Bauen wir also auf dem auf, was wir schon haben. Was die grundsätzliche Herangehensweise betrifft, kann man sich von den Tipps für barrierefreie Videokonferenzen wirklich einiges auch für physische Veranstaltungen mitnehmen – von der Barrierefreiheit der verschiedensten Dokumente und Informationen bis hin zur Gestaltung von Vortrag und Moderation. Den Allerheißesten darunter kann und will ich Ihnen gerade am Mehrsinne Mittwoch nicht vorenthalten: Denken Sie groß! Wenn ich „groß“ sage, meine ich „universell“. Und wenn ich „universell“ sage, meine ich „inklusiv“.
Was sollen Sie nun groß denken – den finanziellen Rahmen vielleicht oder die öffentliche Wirkung? Nein, Ihre Zielgruppe! Natürlich geht es dabei nicht zuletzt darum, dass Menschen mit verschiedensten individuellen Voraussetzungen – zum Beispiel auch einer Behinderung – motiviert in Ihre Veranstaltung hinein und zufrieden wieder hinaus gehen können. Das werden sie aber ganz besonders dann tun, wenn nicht der Eindruck entsteht, es würde für Einzelne ein extra Aufwand betrieben. Wenn alles von Haus aus so gestaltet und organisiert ist, dass sich alle Teilnehmenden gut aufgehoben fühlen und sicher agieren können, ist das eine hervorragende Grundlage für eine gelungene Veranstaltung.
Durch und durch durchdacht
Was gilt es nun zusätzlich zu bedenken, wenn der Schritt hinaus aus der virtuellen in die große weite physische Welt gewagt wird? Eines liegt auf der Hand: Es geht hier wohl hauptsächlich um Aspekte, die mit Räumlichkeiten zu tun haben. Für blinde und sehbehinderte Menschen kann man die Maßnahmen, auf die es hier ankommt, im Wesentlichen mit zwei Überbegriffen zusammenfassen: Orientierung und Sicherheit. Dabei darf man nicht vergessen, dass Orientierung ganz oft eine Voraussetzung für Sicherheit ist. Man ist gut beraten, bereits bei der Auswahl des Veranstaltungsortes nicht nur auf die gute alte stufenlose Zugänglichkeit zu achten, sondern auch darauf, dass bestimmte bauliche und gestalterische Voraussetzungen gegeben sind – Stichwort Beleuchtung, Kontraste, Orientierungssystem, Gefahrenbereichsabsicherung etc. So finden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Teilnehmenden gut zurecht und Ihre Veranstaltung wird auch nicht von der Sorge um Verletzte dominiert.
Auch die Anreisemöglichkeiten sollten bei der Auswahl des Veranstaltungsortes mitbedacht werden. Optimal ist die Auswahl eines Ortes, der gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Sämtliche Angebote, um die Anreise zu erleichtern, sollten Sie allen Teilnehmenden zur Verfügung stellen – auch, wenn Sie bei der Idee dazu vielleicht in erster Linie z.B. blinde Menschen im Hinterkopf hatten. Von einer verlässlichen Wegbeschreibung oder auch der Möglichkeit, sich von einem bestimmten Punkt abholen zu lassen, wenn die Straßenbahn nicht direkt vor dem Hauseingang hält, profitiert im Zweifelsfall jede:r. Auch zum Beispiel eine Beschreibung der Situation vor Ort – räumlich, aber auch organisatorisch – gehört zu dieser Art von Informationen, die bereits im Vorfeld gegeben werden können, für alle Teilnehmenden sehr hilfreich sind und auf jeden Fall viel Sicherheit geben.
Ankommen, Pause und sonstige Zerstreuungen
Ist die Anreise dann geschafft, sind wir bereits mittendrin in einer der Situationen, die physische Veranstaltungen ganz wesentlich von virtuellen unterscheiden, und die für blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderungen eine Barriere darstellt, die sich noch nicht so sehr herumgesprochen haben dürfte. Dabei ist es eigentlich etwas, womit jeder und jede bis zu einem gewissen Grad konfrontiert ist: die Orientierungslosigkeit in einer neuen Umgebung mit unbekannten Menschen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich persönlich bin da extrem dankbar, wenn für einen persönlichen Empfang mit ein paar orientierenden Worten gesorgt ist, damit ich weiß, wohin ich muss und was ich dort tun soll. In diesem Rahmen lässt sich zum Beispiel sehr elegant das Angebot einer Begleitung zum Sitzungssaal oder Ähnlichem unterbringen.
Wir begegnen dieser Situation aber nicht nur beim Ankommen, sondern auch zum Beispiel in Pausen, in denen wir oft zumindest anfänglich einmal etwas peinlich berührt in der Gegend herumstehen. Menschen ohne Sehbehinderung haben mit etwas Glück in so einem Fall die Möglichkeit, sich ans Buffet zu begeben und dort vielleicht sogar schon beim Warten an der Kaffeemaschine mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Gibt es kein Buffet, aber dafür vielleicht eine Person, mit der man sich gerne unterhalten würde, hat man gute Chancen, sie im Pausenraum zu erspähen und auf sie zuzugehen. Menschen, die nicht gut genug sehen, um sich an einem Buffet bedienen oder andere Personen in einer Menschenmenge finden zu können, sind in solchen unmoderierten Situationen extrem benachteiligt.
Gleichgestelltes (nicht) Netzwerken
Beim Plaudern über die Zufriedenheit mit der weiten Verbreitung von virtuellen Veranstaltungen berichten die meisten fast ausschließlich über Vorteile – mit einer Ausnahme: die gemeinsamen Pausen fallen weg. Und damit all die sozialen Kontakte, die geknüpft, die Vieraugengespräche, die geführt, und die Knöpfe, die dabei gelöst werden. Versuche, Teilnehmende in virtuelle Pausenräume zu stecken, scheitern meist. Es fehlt wohl die Atmosphäre, die es für ein Pausengespräch braucht. Etwas Gutes hat das Ganze aber bei aller Nachteiligkeit: Sie betrifft alle, ganz egal, wie gut oder schlecht sie sehen. Wenn wir aber nach und nach wieder zurück in nicht virtuelle Umgebungen wandern, sollten wir uns damit auseinandersetzen, wie wir dort dafür sorgen können, dass der große Vorteil der Netzwerkmöglichkeiten für alle zum Tragen kommt.
Lassen Sie uns reden!
Ein paar Gedanken dazu, wie Veranstalter:innen ihre Gäste gezielt unterstützen könnten, aufeinander zuzugehen und miteinander ins Gespräch zu kommen, haben wir uns in der Kompetenzstelle für Barrierefreiheit bereits gemacht. Wenn man nur daran denkt, lässt sich einiges machen - von der Ice-Breaker Aktion am Anfang einer Veranstaltung zum Kennenlernen über organisatorische Maßnahmen, um beispielsweise auf Referent:innen gezielt zugehen zu können, bis hin zu sogenannten Event-Apps. All diesen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie die Kommunikationsmöglichkeiten für alle Teilnehmenden und damit die Qualität der Veranstaltung als Ganzes verbessern. Dass sie auch für die Zugänglichkeit der Veranstaltung in ihrem vollen Umfang sorgen können, steigert ihre Bedeutung deutlich.
Doch wie gesagt: Dass die Einschränkung beim Vernetzten für viele Menschen eine solche Hürde im Rahmen von Veranstaltungen ist, ist wenigen bekannt. Wie geht es Ihnen mit solchen und anderen Hürden bei Veranstaltungen? Was stört Sie besonders? Was würde Ihnen helfen? Von welchen Lösungen sind Sie begeistert? Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Erfahrungen und Anregungen mit uns teilen und mithelfen, Veranstalter:innen zu sinnvollen Maßnahmen zu motivieren! Bitte melden Sie sich dazu bei Doris Ossberger unter barrierefrei@blindenverband.at