Sichere Mobilität Fehlanzeige? E-Roller wieder einmal im Fokus.
E-Scooter © bsvö ig
Zwei E-Roller stehen mitten am Gehweg, der rechts von einer Hauswand mit Geschäftsfläche und links von einem Radweg begrenzt ist.
„Es muss immer was passieren, bevor was passiert“, ärgert sich Frau Berger. Sie wohnt in der Nähe der Hauptallee im zweiten Bezirk und geht jeden Morgen mit ihrem Hund aus dem Haus. Dass sie auf dem schmalen Gehsteig schon nach wenigen Schritten am ersten Tretrolle ansteht, ist nichts Ungewöhnliches. Einmal ist sie schon gestolpert, konnte sich aber vor dem Kniefall retten, weil sie Halt an einem geparkten Auto fand. Die Schulter tut ihr seitdem weh. Frau Berger, eine rüstige Mittsiebzigerin ist sehbehindert und leidenschaftliche Spaziergängerin.
Dass die Leihroller, die seit einigen Jahren das Stadtbild prägen, Gehsteige verstellen, an den unmöglichsten Stellen angelehnt oder liegengelassen werden und nach Gebrauch geradezu entsorgt werden, ist aber nicht das einzige Problem, das Frau Berger und viele andere beschäftigt.
„Die Leute rasen dahin, als gäb’s kein Morgen!“, schüttelt Frau Berger den Kopf. „Stellen Sie sich vor, so einer erwischt Sie. Da steht man nicht gleich wieder auf!“
Darf das sein?
Die Bauartgeschwindigkeit der sogenannten „Klein- und Miniroller mit elektrischem Antrieb“ darf 25km/h nicht überschreiten, die höchstzulässige Leistung liegt bei 600 Watt. Dies und viele andere Regelungen sind seit 1.6.2019 in der StVO verankert und würden sich alle Nutzende an die geltenden Gesetze halten, dann wäre alles einfacher. Dann würden die Gefährte nur dort fahren, wo auch Fahrräder unterwegs sein dürfen (also nicht am Gehweg!), würden nur eine Person (und nicht zwei oder noch mehrere) transportieren, die Handzeichen gibt, sich der Straßenverkehrsordnung bewusst ist, schon einmal etwas von Vorrangregeln gehört hat, die das geltende Alkohollimit von 0,8 Promille nicht überschritten hat, die an roten Ampeln hält, nicht gegen Einbahnen braust und die das Leihgerät nach der Verwendung ordnungsgemäß parkt (auch hierbei hilft die StVO weiter). Es würde ein funktionierendes Miteinander geben, in dem alle Verkehrsteilnehme aufeinander Rücksicht nehmen, vorausblickend handeln und einander den Respekt entgegenbringen, den sie sich auch selbst wünschen.
Dass diese Wunschvorstellung nicht aufgeht, zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, die sich auch in Beobachtungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) niederschlagen. 2019 landeten 1200 Personen vom E-Roller direkt im Spital. Tendenziell waren sie männlich, unter 40 und selbstverschuldet verunfallt. Unachtsamkeit, Selbstüberschätzung und Missachtung der StVO gelten als Hauptursachen der Unfälle.
Gehtsteig oder Fahrsteig?
Außerdem berichtet das KFV, dass von den 1.507 im Jahr 2019 beobachteten E-Scooter Nutzenden ein Drittel verbotenerweise am Gehsteig unterwegs war und nur 0,5% vorschriftsgemäße Handzeichen zur Fahrtrichtungsänderung gaben. Die KFV-Studie aus 2021 beobachtete, dass bei Fehlen von Radinfrastruktur sogar 43% der beobachteten 738 Personen in Wien, Linz, Klagenfurt und Innsbruck den Gehsteig bevorzugten. Helme trugen nur 3%.
Was das Abstellen der Gefährte angeht, berichtet die Studie aus 2021, dass 54 % nach dem Gebrauch am Gehsteig geparkt werden. Dass nicht alle E-Roller hierbei ordnungsgemäß und ohne zu behindern abgestellt werden, muss wohl nicht extra dazugesagt werden.
Strengere Hand?
In anderen Städten Europas wird an neuen Gesetzen gebastelt, die das Pflaster und die Straßen wieder sicher machen sollen (etwa an einem Nachtfahrverbot wie in Norwegen oder einem generellen Verbot wie in Paris, wo eine Passantin zu Tode kam) und dies sorgt auch in Wien für Diskussionen.
Dazu werden auch die Anbieter (aktuell gibt es noch fünf verschiedene, deren Flotten 1500 Leihroller nicht übersteigen dürfen) ebenso wie Nutzende in den Fokus genommen. Eines der letzten Konzepte, die Unfälle verhindern und die Nutzenden sensibilisieren sollen, führte Anbieter Lime (der auch in Kooperation mit dem BSVWNB auf Sensibilisierung setze) mit der Wirtschaftskammer (WKÖ) durch.
Für einen besseren Umgang empfiehlt das KFV unter anderem intensivere Kontrollen, die Installation eigener E-Scooter-Abstellflächen, eine (freiwillige) Ausbildung (im Rahmen der Radfahrprüfung), mehr Informationen und Sicherheitsbewusstsein.
Aufeinander aufpassen gefragt
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, der seit dem Aufkommen der Leih-Roller darauf plädiert, rücksichtsvoll im Umgang zu sein und die Geräte verantwortungsbewusst abzustellen, pocht einmal mehr auf den korrekten Gebrauch der geräuscharmen Fahrzeuge. Für blinde und sehbehinderte Menschen stellen diese falsch geparkt eine ebenso große Gefahr dar, wie im bewegten Zustand.
Dr. Markus Wolf, Präsident des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich, der selbst in letzter Zeit immer öfters unliebsame Bekanntschaft mit den flotten Gefährten machte, findet klare Worte: "Ich appelliere an alle E-Roller-Nutzenden: Verwenden Sie Ihr Roller bitte verantwortungsvoll und mit Rücksicht!", Da gehört auch das korrekte, sichere Abstellen dazu. So kommen wir alle sicherer ans Ziel."
Und was wünscht sich Frau Berger? „Dass alle ein bisserl mehr aufeinander schauen. Es kann ja gehen, wenn sich alle bemühen!“
Weiterführende Links
Kuratorium für Verkehrssicherheit „E-Scooter im Stadtverkehr: Rollendes Risiko?“ (November 2020) (gesamter Text zum Download am Ende des Artikels): https://www.kfv.at/e-scooter-im-stadtverkehr-rollende-risiken/
Kuratorium für Verkehrssicherheit „E-Scooter im Straßenverkehr: KFV-Beobachtungen zeigen hohen Aufklärungsbedarf“ (August 2021): https://www.kfv.at/e-scooter-im-strassenverkehr-kfv-beobachtungen-zeigen-hohen-aufklaerungsbedarf/
BSVÖ-Artikel zur Bewusstseinskampagne Innsbruck „Gegen falsch abgestellte E-Scooter: Kampagne in Innsbruck sensibilisiert“ : https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/1086/Gegen-falsch-abgestellte-E-Scooter-Kampagne-in-Innsbruck-sensibilisiert
BSVÖ: Stellungnahmen und Positionspapiere des GMI: https://www.blindenverband.at/de/information/stellungnahmen
BSV Wien, Niederösterreich und Burgenland: Initiative RückSicht: "Elektro-Roller und Fahrräder rücksichtsvoll abstellen": https://www.blindenverband-wnb.at/wissenswertes/verkehr/initiative-ruecksicht/
Die Presse (29.7.21): „Verkehrsärgernis E-Scooter: Strafen und strengere Regeln geplant“: https://www.diepresse.com/6014529/verkehrsargernis-e-scooter-strafen-und-strengere-regeln-geplant
ORF: (25.7.2021) „E-Scooter in Europas Städten am Pranger“: https://orf.at/stories/3222023/
ORF: (13.8.2021) „15 Prozent der E-Scooter-Fahrten auf Gehsteigen“: https://oesterreich.orf.at/stories/3116822/