BSVÖ Barrierefrei Reisen II – Vom Organisierenlassen und von tastbaren Städten
Barrierefrei reisen © BSVÖ
BSVÖ Logo, "Vom Organisierenlassen und von tastbaren Städten" Grafik von Koffern und von einem Flugzeug
Ab in die Ferne? Gerne! Wem die Planungsarbeit aber verständlicherweise zu unsicher und mühsam ist (wir berichteten letzte Woche darüber!), findet sich bei vielen Reiseanbietern für blinde und sehbehinderte Menschen in guten Händen. Worauf man dennoch achten sollte und welche Alternativen es gibt, haben wir uns für Sie angesehen.
Auf neuen Wegen
Wer im Sommer (oder auch das restliche Jahr über) vom Reisefieber gepackt wird, und Lust, Zeit und die Mittel dazu hat aufzubrechen, steht vor einer Grundsatzfrage: wohin soll es denn überhaupt gehen? In dieses eine romantische Städtchen in der Provence? Rauf auf den Berg? Doch lieber ans Meer? Und vielleicht: ab nach Shibuya in Tokio? Jetzt, wo es kaum mehr pandemische Grenzen gibt, steht uns wieder die Welt offen.
Theoretisch zumindest. Denn nur, weil nach Zeiten des Lockdowns, Impfzertifikaten und Reisebeschränkungen aus dieser Ecke keine großen Einschränkungen zu erwarten sind, heißt es nicht, dass wir beim Reisen (oder schon beim Planen!) an den ersten Barrieren hängen bleiben.
Abenteuerlustig?
Für blinde und sehbehinderte Reisende gilt ohnehin immer die einfache Faustregel: sind Services, Webseiten, Informationsmaterial schon im Voraus nicht barrierefrei zu benutzen, endet die Reiselust schneller im Reisefrust, als man „Luftmatratze!“ rufen könnte.
Und sollten die ersten Tickets und das Hotel gebucht sein, so beginnen die richtigen Herausforderungen oft, sobald man mit Koffer, Sonnencreme und Reisepass aus den eigenen vier Wänden verschwunden ist.
Es wundert also nicht, dass sich viele, was die Planung und Durchführung einer Reise angeht, auch in Zeiten der digitalen Individualangebote, mit einem Reisebüro in Verbindung setzen.
„Ja, eine Buchung über ein Reisebüro kann schon einmal teurer ausfallen, als wenn ich ein Schnäppchen im Internet finde“, sagt Frau Annemarie E., reiseerprobte Pensionisten mit starker Sehbehinderung. „Aber dafür bin ich auf der sicheren Seite. Wenn vor oder während der Reise etwas schiefgeht, weiß ich, an wen ich mich wenden kann. Und wer mir im Notfall aus der Klemme hilft!“
Sie habe schon mehrere Reisen über Reisebüros gebucht. Aber leider habe die Pandemie auch hier Unheil angerichtet. „Zwei Büros, mit denen ich sehr zufrieden war, haben Corona nicht überstanden“, berichtet Frau Annemarie. Das sei besonders schade, denn dort habe man schon gewusst, worauf man beim Buchen besonders aufpassen müsse. „Es gibt Reisen, die sind nichts für mich als Seniorin mit Sehbehinderung. Aber wenn ich meinen Bekannten und Freundinnen erzähle, wo ich wieder unterwegs war, dann kommen manche aus dem Staunen nicht heraus.“ Ob Mongolei oder Island, wenn die Barrierefreiheit stimmt, dann klappt’s auch mit dem Reiseglück.
Spezialprogramm für alle Sinne
Sowohl in Österreich als auch in Deutschland gibt es verschiedene Anbieter, die sich auf Reisen für blinde und sehbehinderte Menschen spezialisiert haben. Einige bieten Gesamtpakete an, andere planen auch auf individueller Ebene die perfekte Reise.
Eine gute Anlaufstelle sind auch Ihre lokalen Selbsthilfsorganisationen. Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich und seine sieben Landesorganisationen etwa bieten regelmäßig in Kooperation mit erfahrenen Planungsbüros Reisen und Ausflüge mit zugeschnittenem Programm.
Der BSVÖ etwa kooperiert hier mit Life Earth Reisen, einem Reisebüro aus dem Steirischen Mürztal, das sich unter anderem auf Reisen für alle Sinne spezialisiert hat. So erkundete eine Gruppe blinder und sehbehinderter Reiselustiger mit geschulten Begleiter:innen etwa Tansania und sammelte dort bleibe Erinnerungen.
…ob bei der Verkostung von traditionellem Bananenbier in Arusha oder fair verarbeitetem Kaffee in Moshi, den Gerüchen und dem lauten Treiben am Markt von Lushoto, der Ruhe in den Teegärten der Usambara Berge (in denen wir den Tee selbst ernten und verkosten durften), dem Ertasten von Vanille- und Pfefferpflanzen auf der Gewürztour in Sansibar oder dem Bestaunen von Elefanten, Gnus, Löwen und Zebras direkt neben unserem Safarijeep im Ngorongoro Krater und dem Tarangire Nationalpark – wir konnten uns wirklich mit all unseren Sinnen auf dieses einmalige Abenteuer einlassen. Besuche in einer Blindenschule, einer Gesamtschule und einem Buschkrankenhaus ermöglichten es uns dann auch noch, mit Ordensschwestern, Kindern und LehrerInnen in Kontakt zu kommen und – sicher für alle Beteiligten nichts alltägliches – ein paar Ständchen aus österreichischem Liedgut zum Besten zu geben.
(Lesen Sie den gesamten Reisebericht unter: https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/737/Mit-allen-Sinnen-reisen--Reisebericht-Tansania-und-Sansibar)
Und auch zum Ätna nach Sizilien, auf die Insel Hvar in Kroatien, in den Örsèg Nationalpark in Ungarn oder nach Mdina in Malta ging es schon gemeinsam mit dem BSVÖ.
Die nächsten Ziele? Mag. Stefanie Steinerbauer, Leiterin des Referats für internationale Verbindungen des BSVÖ, hat vielleicht schon den einen oder anderen Tipp für Sie! Kontakt: international@blindenverband.at
Nicht nur in der Ferne liegt das Reiseglück
Wer auf eine lange Anreise verzichten möchte und gerne im Land bleibt, kann sich auch hier auf spezialisierte Hotels und Unterkünfte freuen. Auch hier sind lokale Selbsthilfeorganisationen eine gute Anlaufstelle. In vielen Bundesländern bieten unterschiedlichste Organisationen selbst Nächtigungsmöglichkeiten oder sogar Programme an, die auf Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind und einen besonders hohen Wert auf Barrierefreiheit legen. Darüber hinaus verfügen die meisten Selbsthilfeorganisationen vor Ort über Erfahrungen zu lokalen Beherbergungsbetrieben oder Angeboten, die auch für blinde und sehbehinderte Reisende einen gelungenen Urlaub versprechen.
Wenn es Sie in den westlichsten Zipfel Österreichs zieht, so können Sie sich etwa im Haus Ingrüne des BSV-Vorarlberg auf eine schöne Ferienzeit freuen. In der Steiermark wird das Gästehaus am Stubenbergsee nun zwar als JUFA Hotel Garni geführt, die Renovierung und Erneuerung des Hauses aber geschah in enger Abstimmung mit dem BSV-Steiermark, weshalb Sie sich nach wie vor auf einen entspannten Urlaub in der Grünen Lunge Österreichs freuen können. (Beide Kontakte finden Sie am Ende des Artikels!).
Auch in anderen Bundesländern stehen natürlich barrierefreie Hotels zur Verfügung – einige darunter sind sogar preisgekrönt. So vergab die Lebenshilfe den Inklusionspreis 2016 an das Wesenufer Hotel & Seminarkultur an der Donau und 2019 etwa an das Familien-Strandhotel Orchidee am Klopeiner See. In Salzburg wartet im Hirscher Hotel in Altenmarkt im Pongau ein geprüftes Hotel für blinde und sehbehinderte Menschen auf Sie!
Neugierig auf mehr? Der BSV-Tirol hat eine Liste an barrierefreien Reise und Unterkunftsoptionen im Österreich und bei den Nachbarn für Sie zusammengestellt: https://www.bsvt.at/leistungen/freizeit/barrierefreie-reisen/
Städtetrips taktil
Viele österreichischen Bundeslandhauptstädten setzen auf Tourismus und möchten auch Menschen mit Behinderungen einen möglichst angenehmen und auch interessanten Aufenthalt bieten. Das Angebot reicht dabei von Museen mit barrierefreien Objekten über Spezialstadtführungen bis hin zu taktilen Stadtmodellen, die in Innenstädten ertastet werden können. Die offiziellen Tourismuswebseiten der Bundesländer sind gute Anlaufstellen, um sich aktuelle Informationen einzuholen.
Aber auch wenn die Ferienzeit eigentlich keinen Anlass bieten sollte, miesepetrig zu sein: wir können uns nicht ganz der Euphorie hingeben. Nach wie vor stehen blinde und sehbehinderte Menschen in Österreich vor Einschränkungen, fehlenden barrierefreien Ressourcen und erschwerten Zugängen. Das gilt natürlich auch für das Reisen. Wenn auch im Nah- und Fernverkehr, nicht zuletzt durch die eifrige Sensibilisierungsarbeit von Hilfsorganisationen wie dem BSVÖ und seinen Expert:innen vor Ort, Barrieren abgebaut werden, bleiben viele Barrieren bestehen. Viele Hotelbetriebe weisen Mängel auf, die ein Reisen mit Behinderung erschweren, oft fehlt es auch an sensibilisiertem Personal, um den Aufenthalt reibungslos klappen zu lassen. Und wer mit Blindenführhund unterwegs ist, muss außerdem bedenken, dass nicht alle Hotels bereit sind, Vierbeiner nächtigen zu lassen – selbst wenn es sich dabei um ausgebildete Assistenzhunde handelt.
Das österreichweite Angebot an Möglichkeiten zur kulturellen und sozialen Teilnahme hat Potential nach oben – das spürt man auch als blinde oder sehbehinderte Person auf Reisen. Aber können wir nur zuwarten?
Bedürfnisse klarmachen
Wer unterwegs ist und an Barrieren stößt, sollte nicht zaudern, dies auch zu kommunizieren. Ob direkt oder wohlformuliert per Mail, es ist wichtig, die eigenen Erfahrungen zu teilen. Viele Barrieren entstehen nach wie vor aus Unwissenheit. Da hilft es, im Hotel die eine oder andere Idee anzubringen, die schnell zu Verbesserungen führen könnte, oder im Museum anzumerken, dass Infos im Mehrsinneprinzip der Hit wären. Ganz nach dem Motto: steter Tropfen höhlt den Stein…
Im Letzten Teil unseres Dreiteilers begeben wir uns kommende Woche direkt in Zug, Bus & Co und erforschen barrierefreie Wege des Reisens. Gibt’s denn die überhaupt? Lassen Sie sich überraschen!
Teil 1 lesen Sie hier:https://www.blindenverband.at/de/aktuelles/1908/BSVOe-Barrierefrei-Reisen-I--Blind-reisen-mit-Ueberraschungsfaktor
Weiterführende Links
Kontakt Haus Ingründe (Vorarlberg) und JUFA Hotel Gari Stubenbergsee (Steiermark)
Vorarlberg „Haus Ingrüne“
BLINDEN- UND Sehbehindertenverband Vorarlberg
Telefon: 05572 / 58221 – Mobiltelefon: 0676 / 5822137
E-Mail: erholungszentrum@bsvv.at
Internet: https://bsvv.at/haus-in-gruene/
Steiermark
Ehemaliges Gästehaus Stubenberg, jetzt JUFA Garni Hotel
https://www.jufahotels.com/hotel/stubenbergsee/
BSVÖ Reise mit allen Sinnen: https://www.blindenverband.at/de/projekte/inklusionsreisen
Webseite des Life Earth Reisebüros: https://www.lifeearth-reisen.at/
Liste des BSVT mit barrierefreien Reiseoptionen: https://www.bsvt.at/leistungen/freizeit/barrierefreie-reisen/