BSVÖ Barrierefrei Reisen I – Blind reisen mit Überraschungsfaktor
Wer seine Sommer dazu nutzen möchte, die Wohnungstür abzusperren und in andere Gefilde aufzubrechen, ist nicht alleine mit der Reiselust. Für blinde und sehbehinderte Menschen aber kann der Wunsch, frischen Wind zu atmen und fremde Orte zu entdecken, mit so einigen (bösen) Überraschungen aufwarten – und dafür muss noch nicht einmal ein Fuß vor die Tür gesetzt sein. Lesen Sie in unserem Vierteiler über die vielen Bedeutungen von blind Booking, die Kunst des Ankommens und die unerwarteten Freuden in der Ferne!
Fernweh
Hinter uns liegen Pandemiejahre, in denen das Reisen so gut wie unmöglich war. Jetzt sind aber in fast allen Ländern die letzten Beschränkungen gefallen und es kann wieder losgehen. Für viele geht die Planung aber nicht erst mit den Sommermonaten an, sondern schon kurz nach Weihnachten, wenn der Jänner mit seinen langen, kalten Tagen zum Träumen einlädt. Aber wohin soll es gehen? Ans Meer? In fremde Städte? In die Berge? Das richtige Ziel will gut überlegt sein, damit später im Urlaub auch wirklich alle glücklich sind. Aber wenn für viele die Auswahlkriterien nach persönlichen Präferenzen abgearbeitet werden, gilt für blinde und sehbehinderte Menschen die Faustregel: komme ich (halbwegs) barrierefrei durch den Urlaub?
Planungsarbeit
Angenommen, der Sinn steht nach einem entspannten Aufenthalt an einem österreichischen See, eine kurze Anreise und die Option, bei gutem Wetter die Natur auf Wanderungen zu genießen. Klingt machbar. Und tatsächlich stehen die Chancen gut, auch als blinder und stark sehbehinderter Sommerfrischler in relativ hoher Selbstbestimmtheit den Urlaub zu erleben.
Soll es an weiter entfernte Ziele gehen, wird es für alle Reisenden, aber vor allem für blinde und sehbehinderte Menschen mitunter komplizierter. Nicht immer lässt sich die notwendige Planung vorab schon erledigen, denn schon nach den ersten Versuchen wird klar: hier kommt man alleine doch nicht weiter. Dann können Visaanträge nur mit Hilfe anderer ausgefüllt, Zugverbindungen auf ausländischen Webseiten nur mühsam gefunden werden oder Hotel nicht selbstbestimmt vorab gebucht werden, einfach weil die notwendigen Infos nicht barrierefrei verfügbar sind.
Aber heißt das, dass man besser Urlaub auf Balkonien planen sollte? Nein, finden wir. Aber es braucht manchmal eine ordentliche Portion Abenteuerlust. Und gute Nerven.
Einmal losgoogeln…und dann überraschen lassen?
Annemarie E. erinnert sich an die Vorbereitung auf ihre letzte Reise nach Rom. „Ich dachte mir, ich mache es mir einfach und suche Angebote für blinde Reisende im Internet. Dafür habe ich „blind“ und „booking“ in die Suchzeile eingetippt. Und wissen Sie, was dabei herauskam?“, lacht die Pensionistin. „Das ist das Schlagwort für einen eigenen Trend!“ Was früher noch unter „Last minute“ – also zu Deutsch: auf den letzten Drücker – direkt am Schalter des Flughafens als kostengünstige Pauschalreise für Kurzentschlossene gebucht werden konnte, setzt sich im „Blind Booking“ fort.
„Es gibt eigene Webseiten dafür“, fasst Frau Annemarie E. zusammen. „Da kann man zum Beispiel einen Flug hin und retour buchen und einen fixen, sehr billigen Preis dafür zahlen. Wohin es aber geht, weiß man nicht, bis gebucht ist. Das geht auch mit Hotels! Aber selbst, wenn ich mir 80% erspare, möchte ich gern vorher wissen, wohin die Reise geht. In meinem Fall hat ‚blind booking‘ zwar auch einiges mit Überraschungen zu tun, aber so abenteuerfreudig bin ich dann doch nicht!“.
Auf eigene Faust?
Vielen geht es beim Reisen um eines: um persönliche Freiheit. Wer Destination, Transport, Nächtigungsmöglichkeit und Programm selbst und unabhängig von anderen auswählen möchte, steht vor der Herausforderung, entsprechende Angebote auch zu finden. Dass Informationen barrierefrei abrufbar sind, wird an diesem Punkt einmal mehr deutlich: bietet Preisvergleichsportale zwar eine große Übersicht über Flüge, macht sie eine unübersichtliche Seitenkonstruktion oft schwierig zu durchforsten. Dann auf Subseiten weitergeleitet zu werden, birgt neue Fehleranfälligkeit in sich. Lassen digitale Datum-Formulare nicht befüllen, kann auch kein entsprechender Zeitraum für die Nächtigung gewählt werden. Und ist die Plattform, die Hotels vorstellt nicht darauf ausgerichtet, auch ohne Maus navigiert zu werden, wird sie für blinde und stark sehbehinderte Menschen schnell unnütz. Wird die gewünschte Zug- oder Flugverbindung sowie die Nächtigungsoption dann doch gefunden und sogar erfolgreich gebucht, kann es bei der Zahlung erneut zu Hürden kommen: wird problemlos auf die eigene Bank umgeleitet? Und sollte der Zahlungsvorgang klappen, erhält man die Tickets als Mail oder muss man sie direkt von der Händlerseite als PDF downloaden. Und ist dieses PDF dann auslesbar, oder fehlen ihm die notwendigen Strukturtabs?
Damit auch blinde und sehbehinderte Indivualreisende ihre Reise im Voraus reibungslos buchen und planen können, müssen Händlerseiten ihre Produkte und Services barrierefrei anbieten. Das heißt: Webseiten und Webshops, die auch ohne Maus navigiert werden können, indem sie sinnvoll und übersichtlich strukturiert sind und alle relevanten Elemente auch als solche gekennzeichnet sind und angewählt werden können. Buchungsprozesse müssen ebenso im Sinne der Barrierefreiheit ablaufen – vom Auswählen, über den Bezahlungsprozess bis hin zum Erhalt barrierefreier Tickets und Bestätigungen. Dann kann es heißen: gute Reise!
Wer auf Reisen gehen will, die Organisation hierfür aber gerne in andere Hände legt, kann sich aber auch an erprobte Reisebüros und Reiseorganisatoren wenden. Unter denen gibt es inzwischen auch Anbieter, die sich auf blinde und sehbehinderte Reisende spezialisiert haben! Neugierig geworden?
In der Fortsetzung unseres August-Fokusthemas erfahren Sie mehr über barrierefreie Reiseanbieter, den Geruch von Kaffeebohnen und ertastbare Städte!