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BSVÖ - Barrierefreie Kunst II: Von Bildern und Worten

  • barrierefreie Kunst © BSVÖ

Kunst ist für alle da. Das gilt auch für bildende – also visuell gestaltete Kunst. Wer sich nicht vorstellen kann, wie das funktionieren soll, ist eingeladen, weiterzulesen!


Wer an eine Kunstausstellung im Museum denkt, hat schnell eine Szene vor sich: Bilder an den Wänden, dazwischen Menschen, die schweigend in die Betrachtung versunken sind. Und wirklich sieht die Realität in vielen Museen noch immer so aus. Damit der Besuch aber auch für blinde und sehbehinderte Menschen zum einmaligen Erlebnis wird, müssen ein paar grundlegende Punkte erfüllt werden.

Bilder einer Ausstellung

Günther war letzten Sommer in London. Als er daheim von seinem Besuch in der Nation Gallery erzählt, erntet er von einigen Freunden am Tisch allerdings nur Kopfschütteln. „Sie haben mich gefragt, was ausgerechnet ich im Museum gemacht hätte. Sie wissen ja, dass ich nur noch einen sehr kleinen Sehrest habe und die Bilder an den Wänden so gut wie nicht mehr wahrnehmen kann“, erinnert sich Günther. Dass der Pensionist aber trotzdem gerne ins Museum geht, hat bei ihnen zuerst Unverständnis ausgelöst. „Als ich ihnen erzählt habe, dass ich an einer speziellen Führung teilgenommen habe, bei der wir uns sehr lange in einem einzigen Raum aufgehalten und uns nur ein Bild angesehen haben, haben sie langsam zu verstehen angefangen. Unser Guide war ein Professor mit sehr viel Leidenschaft und er hat eine Stunde lang jedes Detail des Bildes für uns alle lebendig gemacht. Es war einfach großartig.“

Visuelles hörbar machen

Spezielle Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen sind im Bereich der bildenden Kunst das Um und Auf für einen gelungenen Besuch. Hier ist das Museum gefragt, mit Kunstvermittler:innen zu arbeiten, die visuelle Künste auch für andere Sinne erfahrbar machen. Meist geschieht dies – sofern die Museen die entsprechenden Mittel dafür erübrigen können – durch orale oder auditive Vermittlung. Vor allem größere Museen, Galerien und Kunsthäuser bieten hierfür Spezialführungen vor Ort an, bei denen Kunst gemeinsam erfahrbar gemacht wird. Aber auch eine gut umgesetzte Führung mittels elektronischem Audio-Guide zum Selbsthören kann den Museumsbesuch für blinde und sehbehinderte Menschen zum Kulturgenuss machen. Wichtig hierbei ist, dass im Audio-Guide-Text nicht davon ausgegangen wird, dass das Bild zum Zeitpunkt des Abspielens von den Besucher:innen auch visuell wahrgenommen werden kann. Beschreibt der Text aber sowohl den Inhalt als auch wichtige Aspekte des Dargestellten, so kann das Bild in allen Interessierten entstehen. Dazu zählt auch eine Bildbeschreibung, die grundlegende Infos dazu abgibt, was denn hier überhaupt zu sehen ist. Dass dies nicht immer so leicht ist, erinnert Rotraut Krall, Kunsthistorikerin und Kunstvermittlerin des Kunsthistorischen Museums Wien (KHM), im Gespräch mit dem BSVÖ. Eine Herausforderung, an die Dr. Krall bei der Erstellung der Audioguidetexte zu Beginn ihrer Arbeit am Abbau von Barrieren im Museum stieß, war die Vermittlung von Perspektive und Räumlichkeit. „Das ist gerade bei Bruegel, etwa bei der Kreuztragung Christi oder auch den Landschaftsbildern schwierig, weil er sehr bühnenmäßig staffelt. Da stieß ich an meine Grenzen.“ Die Komposition Selbstmord Sauls stellte sich als besonders kniffelig heraus. Dr. Krall, die mit der Textung für Audioguides auf große Erfahrung zurückgreifen kann, fasst es folgendermaßen zusammen: „Links ein Felsenplateau, aus der Mitte schräg diagonal strömen die Soldaten, rechts ein Felsenplateau; wie ist das umzusetzen? Aus dem Mittelgrund in den Vordergrund – das versteht doch niemand!“ Erst als Dr. Krall damit begann, umzudenken und das Bild von der Fläche her zu betrachten, lichtete sich der Raum. Wichtig für die Bildbeschreibung sei auch immer Empathie und die Wahl einer lebendigen Sprache betont die Kunsthistorikerin. „Beschreibungen werden immer gegengelesen – auch von Menschen, die weniger Affinität für die bildende Kunst haben. So bringt jeder seine Inputs und diese können für ein möglichst gutes Ergebnis adaptiert werden.“

Die Kunst der Kunstvermittlung

Eine barrierefreie und gute Bildbeschreibung ist bei manchen Bildern schwieriger als bei anderen, weiß auch Henning. Er ist Kunstgeschichte-Student, der sich für barrierefreie Museumsbesuche einsetzt. Seit seine Mutter erblindet ist, hat sich für ihn der Zugang zu Kunstausstellungen verändert. „Wir sind früher immer gemeinsam ins Museum gegangen. An Wochenenden waren wir oft stundenlang in Ausstellungen und haben uns viel Zeit genommen, einfach nur ein Bild lange gemeinsam zu betrachten. Als meine Mutter innerhalb weniger Jahre aufgrund einer Krankheit erblindete, wurden die Museumsbesuche immer weniger“, erzählt Henning. „Es frustrierte sie, weil so oft das Angebot fehlte. Vor allem in kleineren Museen kann kaum mit barrierefreie Maßnahmen zur Erschließung von Kunst gerechnet werden.“ So wuchst Henning selbst in die Rolle des Kunstvermittlers. „Ich begann, mich genauer mit der Beschreibung von Bildern auseinander zu setzen. Wie sind sie aufgebaut, was ist relevant zu erzählen? Versuchen Sie es einmal! Bei vielen Renaissance-Künstler:innen ist es leicht. Aber bei moderner und zeitgenössischer Kunst muss ich manchmal das Handtuch werfe!“ Im Studium lernte er zwar schließlich, wie eine Bildbeschreibung technisch aufgebaut werden soll, aber eine gute Bildbeschreibung für blinde und sehbehinderte Menschen hat noch einmal ihr eigenes Regelwerk. „Die Herausforderung ist es, alles Wesentliche zu erwähnen und gleichzeitig darüber hinaus die gesamte Stimmung des Bildes in Worte zu fassen“, sagt Henning. „Manche haben Angst davor, Worte wie „sehen“, „erkennen“ oder „wahrnehmen“ zu verwenden. Und auch Farben und Lichtstimmungen zu beschreiben wollen viele mit aller Macht vermeiden.“ Dabei mache es die Beschreibung oft nur kompliziert und steif, wenn gewisse Worte aus Angst vor Beleidigung aus dem Text zensiert werden. Für Menschen, die neu in der barrierefreien Bildbeschreibung sind, hat Henning auch einen Tipp: „Man muss das Bild ganzheitlich erfassen und sich dabei vorstellen, es jemanden über Telefon zu beschreiben! Dann klappt es schon ganz gut.“

Ein Bild für Sie

In Kooperation mit der ALBERTINA erhält der BSVÖ jedes Monat exklusiv einen Audioguide-Beitrag aus der großen Sammlung der ALBERTINA. Von Picasso über Warhol bis zu Raffael – lassen Sie sich überraschen, mit welchem Einblick uns die ALBERTINA im kommenden Monat überraschen wird!

Hier geht es zu den Bildern des Monats des letzten Jahres:

Kunst und Kultur barrierefrei | Barrierefreiheit | BSVÖ - Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (blindenverband.at)

 

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